Störfall als Normalfall? Merkel glaubt Vattenfall
06.07.2009, 07:13 Uhr
Greenpeace-Protest vor dem Kernkraftwerk Krümmmel.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Die neuerliche Panne beim Kernkraftwerk Krümmel belebt den Streit um die Atomkraft neu. Während Umweltminister Gabriel die Atomkonzerne zu einem schnelleren Ausstieg zwingen will, lässt Kanzlerin Merkel den Regierungssprecher versichern, sie habe keinen Zweifel daran, dass nur Anlagen in Betrieb seien, für die Zuverlässigkeit und Fachkompetenz gewährleistet seien.
Trotz des Störfalls in Krümmel will Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht von ihrer Forderung nach längeren Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke abrücken. Merkel lehnte auch den Vorstoß von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ab, den Ländern die Atomaufsicht zu entziehen. Die Kanzlerin sei der Ansicht, "dass daran festgehalten wird", sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg.
Gabriel äußerte erhebliche Zweifel an der Sicherheit deutscher Kernkraftwerke. "Der Störfall ist der Normalfall", sagte der SPD-Politiker dem "Hamburger Abendblatt". Die Behauptung der Atomindustrie, in Deutschland stünden die sichersten Kraftwerke, sei falsch. "Auch deutsche Reaktoren sind anfällig", betonte der Minister. In den vergangenen Jahren habe es "eine ganze Reihe von Schwierigkeiten" gegeben.
"Ausstieg beschleunigen"

Beim Kernkraftwerk Krümmel läuft nach Aussagen des Betreibers am Isolator einer so genannten Kerze eines defekten Transformators Öl aus (Vattenfall-Handout).
(Foto: dpa)
Ein Unfall oder ein Terroranschlag auf ein Atomkraftwerk könne in einem dicht besiedelten Industrieland wie Deutschland "eine Katastrophe auslösen", betonte der Minister. "Daher bin ich dafür, den Atomausstieg zu beschleunigen." Das Atomgesetz biete die Möglichkeit, die alten Atomkraftwerke schneller abzuschalten und die Laufzeiten auf jüngere, sicherere zu übertragen.
Die Aufsicht über die 17 deutschen Kernkraftwerke liegt bei den fünf Bundesländern, in denen die Meiler stehen. Allerdings liegt die Bundesaufsicht bereits jetzt im Bundesumweltministerium und damit bei Gabriel. Angesichts des Krümmel-Panne erneuerte der SPD-Politiker seiner Forderung nach einer Übertrag der Restlaufzeiten der acht ältesten Anlagen auf die jüngeren Atomkraftwerke.
"Krümmel muss vom Netz"
Nach Auffassung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW zeigt die jüngste Reaktorschnellabschaltung in Krümmel, dass die Atomenergie prinzipiell nicht beherrschbar ist. "Wer sich wie Vattenfall zwei Jahre lang nach dem Störfall vom Juni 2007 mit den Maschinentransformatoren des Kraftwerks auseinandersetzt, vor der Wiederinbetriebnahme von der Atomaufsicht noch mal ausdrücklich gewarnt wird, und dann dennoch einen Störfall in Zusammenhang mit einem Maschinentransformator nicht verhindern kann, beweist: Wir können alles außer Atomkraft", so der IPPNW-Atomenergieexperte Henrik Paulitz.
Solche Netztrennungen wie jetzt in Krümmel seien äußerst gefährlich, weil sie zum Notstromfall und dann unter Umständen zum Super-GAU führen können. Paulitz forderte: "Krümmel muss jetzt endgültig vom Netz."
"Gefährliches Vabanquespiel"
Auch die Grünen forderten den Krümmel-Betreiber Vattenfall auf, das Kernkraftwerk endgültig abzuschalten. "Mit Krümmel darf Vattenfall nicht länger ein gefährliches Vabanquespiel betreiben", teilte Parteichefin Claudia Roth mit und forderte eine umfassende Untersuchung des Störfalls vom Wochenende. "Die Pannenserie im Altreaktor Krümmel ist höchst besorgniserregend." Das Kraftwerk bei Hamburg hatte sich am Wochenende selbsttätig abgeschaltet, als es wieder auf seine volle Leistung hochgefahren werden sollte.
Krümmel war nach zwei Jahren Stillstand erst vor zwei Wochen wieder ans Netz gegangen, aber nicht störungsfrei gelaufen. Ursache der neuen Abschaltung war ein Kurzschluss in einem Transformator, ähnlich wie bei dem Störfall vor zwei Jahren, der zu dem jahrelangen Ausfall des Kraftwerks geführt hatte. Das Unternehmen entschuldigte sich am Sonntag öffentlich dafür, entgegen den Bestimmungen nicht unverzüglich den zuständigen Einsatzstab des Kieler Innenministeriums informiert zu haben.
Unterdessen suchen Experten nach der Ursache des neuerlichen Störfalls. Vertreter der Umweltschutzorganisation Greenpeace verriegelten ein Einfahrtstor zu dem Kraftwerk mit Eisenketten. "Geschlossen wegen Unzuverlässigkeit" stand auf einem Schild.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa