Politik

Weg aus Verfassungskrise Merkel stellt Weichen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bringt die Europäische Union wieder auf Reformkurs. Zum 50. Geburtstag der EU verpflichteten sich die 27 Staats- und Regierungschefs beim Jubiläums-Gipfel in der "Berliner Erklärung", bis 2009 einen neuen Vertrag über die politischen Spielregeln in Kraft zu setzen. "Ein Scheitern wäre ein historischen Versäumnis", sagte die amtierende EU-Ratspräsidentin. Mit der Erklärung vollzog die EU die Wende in der fast zweijährigen Verfassungskrise. In Berlin feierten Tausende bei herrlichem Frühlingswetter ohne Zwischenfälle ein fröhliches Europafest.

Nach den Worten von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist die "Berliner Erklärung" eine "Standortbeschreibung, die Zuversicht vermittelt". Bei n-tv sagte Steinmeier: "Ich glaube, wir haben die Phase der europäischen Stagnation überwunden. Es herrscht Zuversicht, dass Europa sich nach vorne bewegt, handlungsfähig zeigt. Diese Berliner Erklärung wird den Weg nach vorn weisen."

Europa: Sozial und demokratisch

Merkel dringt darauf, die neue rechtliche Grundlage der EU mit ihren rund 490 Millionen Menschen bei einer Regierungskonferenz in der zweiten Hälfte 2007 unter portugiesischer Ratspräsidentschaft festzuschreiben. Der neue Vertrag soll - wie die in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte ursprüngliche Verfassung - Europa sozial, demokratisch, global schlagkräftig und für die Bürger verständlich machen.

Die Kanzlerin würdigte die Errungenschaften der vergangenen 50 Jahre europäischer Einigung. Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat seien aber keine Selbstverständigkeit: "Alles muss wieder aufs Neue gestärkt und verteidigt werden. Stillstand bedeutet Rückschritt. Bei einer Spaltung kommt Europa schneller aus dem Tritt als mancher glauben mag." Merkel, Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso und der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, unterzeichneten den Text stellvertretend für die anderen Staats- und Regierungschefs.

Merkel kündigt Regierungskonferenz an

Nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich will Merkel ihren Fahrplan zur Lösung der Verfassungskrise beim EU-Gipfel im Juni in Brüssel vorlegen. Der Plan werde "inhaltliche Weichenstellungen" beinhalten. Entscheidungen müsse dann später eine Konferenz der Staats- und Regierungschefs treffen, sagte sie. Im Juni werde man zum Abschluss der deutschen Ratspräsidentschaft sehen, "ob was zu Stande kommt oder nicht". Im ZDF warnte Merkel vor einem Scheitern. "Das wäre schon eine sehr ernste Situation." Die neue vertragliche Grundlage für die EU müsse noch "hart erarbeitet werden". Allein könne sie dies nicht schaffen. "Ich brauche den guten Willen aller."

Parallel zur Verabschiedung der Erklärung zum 50. Geburtstag der EU im historischen Zeughaus Unter den Linden feierten nach offiziellen Angaben etwa 500.000 Menschen ein Europafest rund um das Brandenburger Tor. In der ARD sagte Merkel, das zeige, "dass schon Neugierde und auch Freude an Europa besteht". Zu einer Demonstration von Gipfelgegnern kamen mit rund 1.000 Menschen erheblich weniger als von den Veranstaltern erwartet. Am Abend beteten Jugendliche bei einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom zusammen mit Merkel und anderen Gipfelteilnehmern in mehreren Sprachen.

Grundvertrag statt Verfassung

Seit 2005 Franzosen und Niederländer Nein zur Verfassung gesagt hatten, sucht die EU Alternativen zu dem Reformwerk, ohne das neue Erweiterungsrunden unmöglich sind. Der niederländische Regierungschef Jan Balkenende bekräftigte am Rande des Gipfels: "Wir brauchen einen Änderungsvertrag ... das Wort Verfassung brauchen wir nicht".

Auch Pöttering sagte, am Ende brauche der Begriff Verfassung nicht mehr aufzutauchen, aber die Substanz müsse erhalten bleiben. Bei einem Treffen der konservativen Staats- und Regierungschefs am Samstag fiel häufiger der Begriff "Grundvertrag" als Ersatz für "Verfassungsvertrag".

Frankreichs scheidender Staatspräsident Jacques Chirac versicherte Merkel, sein Land werde ihr Rückendeckung geben: "Frankreich unterstützt voll und ganz Kanzlerin Merkel." Chirac wurde von der Gipfel-Runde beim Mittagessen mit großem Beifall verabschiedet.

Merkel, die die Ehrengäste zur Unterzeichnung der Erklärung mit Ehemann Joachim Sauer empfangen hatte, erinnerte an die deutsche Teilung und deren Überwindung vor 18 Jahren. "Ein Traum ist wahr geworden", sagte die in Ostdeutschland aufgewachsene Ratspräsidentin über die europäische Einigung. Europa müsse in der Energie-, Außen-, Innen- und Rechtspolitik besser und schnellere Entscheidungen treffen können.

Deutschland als verlässliche Kraft

Barroso bezeichnete Deutschland als treibende und verlässliche Kraft in Europa: "Die Europäische Union von heute -unser erweitertes Europa -gäbe es nicht ohne das Engagement und die Solidarität Deutschlands." Der britische Premierminister Tony Blair sagte, die EU brauche Veränderungen, wenn sie effektiver werden solle. Er verwies allerdings auf das Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden. "Wir müssen deshalb realistisch sein."

Tschechien weiter unzufrieden mit Merkel

Der tschechische Präsident Vclav Klaus sagte erneut, er sei mit der Arbeit von Merkel an der "Berliner Erklärung" unzufrieden. "Es fehlt eine demokratische Debatte, eine demokratische Diskussion", kritisierte er. "So kann man das wirklich leider nicht machen." Klaus stellte aber grundsätzlich klar, auch seine Regierung wolle bis 2009 einen EU-Grundlagentext ratifizieren.

Beethoven und Rock

Mit einem Festakt zu den Klängen von Beethovens 5. Symphonie hatte Merkel die Staats- und Regierungschefs am Samstag in der Berliner Philharmonie auf das Jubiläum eingestimmt. Am Abend waren die Gäste bei Bundespräsident Horst Köhler im Schloss Bellevue zum Essen geladen. Die "Nacht der Schönheit" lockte in 14 Museen rund 18.000 Menschen an. In Clubs tobten tausende Tanz- und Musikfreunde.

Quelle: ntv.de

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