Kanzlerin auf "Lernreise" Merkel verlangt den Öko-Beitrag
26.08.2010, 17:56 UhrBei einem Besuch im AKW Lingen stimmt Kanzlerin Merkel die Atomwirtschaft auf zusätzliche Belastungen ein. FDP und CSU sind skeptisch und winken mit dem Argument der Arbeitsplätze. Am Freitag stellt die Regierung ihr Gutachten über längere Laufzeiten vor, das von RWE finanziert wurde. Darin wird der Ökostromanteil kleiner gerechnet.
Die Atomwirtschaft muss sich auf weitere Belastungen einstellen. Kanzlerin Angela Merkel fordert mehr Geld über die geplante Brennelementesteuer hinaus. Diese Beiträge sollten in die erneuerbaren Energien investiert werden, sagte die CDU-Chefin beim Besuch des Atomkraftwerks Lingen in Niedersachsen. Über die Höhe des Betrags herrscht weiter Unklarheit.
Die Regierung wolle die Haushaltskonsolidierung erreichen und habe da bestimmte Abgaben im Auge. "Ich glaube, dass wir darüber hinaus - aber hier verwende ich ausdrücklich nicht das Wort Abgabe - natürlich darüber sprechen müssen, in welcher Weise auch die Energiewirtschaft einen Beitrag für die erneuerbaren Energien leisten kann." FDP und CSU sehen eine Zusatzabgabe skeptisch.
Merkel ließ keinen Zweifel an der Verlängerung der Atomlaufzeiten. Aber: "Eine Jahreszahl werde ich heute nicht nennen." Sie könne sich noch nicht dazu äußern, da sie erst die Modelle für den künftigen Energiemix kennen wolle. "Dann muss man sich zwei weitere Parameter anschauen. Das eine ist die Frage der Sicherheit, und das zweite ist die Frage auch natürlich der rechtlichen Möglichkeiten." Als Obergrenze für eine Umgehung des Bundesrats, in dem die Koalition keine Mehrheit mehr hat, gelten zehn Jahre längere Laufzeiten.
Teyssen spricht von "Lernreise" der Kanzlerin
Auf ihrem Rundgang durch das vom Energiekonzern RWE betriebene emsländische Kernkraftwerk wurde die Kanzlerin von RWE-Chef Jürgen Großmann und Eon-Chef Johannes Teyssen begleitet. Großmann wies den Vorwurf zurück, dass die Atomwirtschaft mit einer Anzeigenkampagne Druck auf die Regierung ausgeübt habe. Im AKW Lingen sei "in guter Atmosphäre der Gang der Dinge besprochen worden". Großmann betonte: "Es muss eine Einigung geben. Das sagen alle." Der Eon-Chef sagte: "Wir hatten wenige Minuten mit ihr und haben sie auf ihrer Lernreise begleitet."
Die Atomwirtschaft wehrt sich gegen die geplante Brennelementesteuer, weil sie fürchtet, dass diese unumkehrbar ist. Die Kanzlerin sagte: "Wir haben ein kurzes Gespräch geführt darüber, dass wir weiter sprechen werden. Wir haben hier natürlich keine Verhandlungen geführt."
Rund 200 Atomkraftgegner demonstrierten in strömendem Regen vor dem AKW. "Atomkraft ist eine Blockadetechnologie", hieß es. Die SPD kritisierte Merkels sogenannte Energie-Reise als Showveranstaltung.
Alte Kamellen ausgetauscht
Die Pläne für einen Zusatzbeitrag der Atomwirtschaft stoßen bei FDP und CSU auf Gegenwind. "Wir sollten den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen", sagte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) der "Bild"-Zeitung. Der Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, sagte der dpa: "Eine zusätzliche Abgabe ist derzeit alles andere als sinnvoll und würde nur zu einer Verteuerung der Strompreise führen."
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hält eine spezielle Abgabe für sinnvoll, die in den Ausbau der Ökoenergien fließen soll. Das Kabinett berät am 1. September über die geplante Brennelementesteuer in Höhe von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr für die Atomwirtschaft. Der endgültige Beschluss über die Steuer fällt Ende September. Baden-Württembergs CDU-Fraktionschef Peter Hauk begrüßte Merkels Pläne.
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) sieht acht Jahre längere Laufzeiten als Obergrenze, wenn die Regierung dies ohne den Bundesrat durchsetzen will. Röttgen dürfte "mit den acht Jahren, die er einmal genannt hat, eher auf der sicheren Seite sein".
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf Merkel eine einseitige Festlegung auf Atomkraft vor. "Die Entscheidungen sind längst gefallen." Die Atomkonzerne bekämen die Laufzeitverlängerung der Meiler als Geschenk. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil kritisierte: "Die Bundesregierung verhindert mit ihrer Energiepolitik die wirtschaftliche Modernisierung des deutschen Kraftwerkparks und den Wettbewerb auf den Energiemärkten."
Regierung rechnet Ökostrom-Anteil klein
Die Regierung senkt in den Gutachten für längere Atom-Laufzeiten voraussichtlich die Ziele für den Öko-Strom Anteil zugunsten der Atomkraft. Das geht nach dpa-Informationen aus einem Zwischenbericht für die Energieszenarien hervor. Während der Nationale Aktionsplan für erneuerbare Energie einen Ökostrom-Anteil von 38,6 Prozent für 2020 anpeilt, geht die Regierung in zwei Modellen von rund 35 Prozent aus.
Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn kritisierte: "Die Erneuerbaren müssen klein gerechnet werden, sonst können die Atomkraftwerke ihren Strom nicht mehr absetzen. Das sind Strommengen in einer Größenordnung von drei bis vier Atomkraftwerken."
RWE bezahlt das Gutachten
Die Gutachten des Energiewissenschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) und der Prognos AG sollen Röttgen und Brüderle an diesem Freitag vorgelegt werden. Das Kölner EWI-Institut erhält von den Stromkonzernen RWE und Eon acht Millionen Euro. Eine Sprecherin des Instituts bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Es handle sich um eine zweckungebundene Grundsatzförderung.
Die Energiekonzerne müssen angesichts der Brennelementesteuer und dem Kauf von Verschmutzungsrechten mit Milliardenbelastungen rechnen. Auf RWE und Vattenfall kämen 2013 eine Zusatzbelastung von mehr als 40 Prozent des operativen Ergebnisses von 2009 zu, errechnete die Unternehmensberatung Roland Berger für das "Manager Magazin".
Quelle: ntv.de, dpa/AFP