Wenige Skandale und Rücktritte Minister außer Gefahr
16.09.2009, 08:57 UhrMit nur drei Rücktrittsgesuchen war die Große Koalition eine der beständigsten Regierungen seit 1949. Fehlende Skandale sind ein Grund für die sicheren Arbeitsplätze.

Trotz der jüngsten Vorgänge in Afghanistan sitzt Franz Josef Jung fest in Merkels Kabinett im Sattel.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Sorgen machen musste sich Franz Josef Jung nicht. Auch wenn der manchmal glücklos wirkende Verteidigungsminister nach dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff in Afghanistan harsche Kritik aushalten muss - ein Rücktritt des CDU-Politikers kurz vor der Bundestagswahl stand nicht zur Debatte. Genauso wenig wie bei Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wegen der Dienstwagen-Affäre. Mit drei Rücktritten war die große Koalition vom Personal her eine der beständigsten Regierungen seit 1949 - alle drei Rücktritte waren zudem freiwillig. Das hängt auch mit der besonderen Arithmetik zusammen, wenn sich die beiden größten Parteien zusammentun - und es gab kaum Skandalöses.
"Wenn sich zwei etwa gleich große Parteien auf Augenhöhe gegenüberstehen, will sich keine Seite die Blöße geben", sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Dies könne ein Indiz für weniger Rücktritte in solchen Bündnissen sein. "Es kann als Zeichen der Schwäche von der anderen Partei gewertet werden, wenn ein Minister des eigenen Lagers entlassen wird."
Uneingeschränkter Kündigungsschutz

Michael Glos (r) bat Horst Seehofer (l) und nicht Angela Merkel, aus dem Kabinett scheiden zu dürfen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
In der großen Koalition wurden bisher auch eher als schwache Besetzungen geltende Kabinettsmitglieder mitgeschleppt. Dabei kann Kanzlerin Angela Merkel (CDU) qua Grundgesetz ohne Angabe von Gründen jederzeit einen Minister dem Bundespräsidenten zur Entlassung vorschlagen - der diesem Vorschlag nachzukommen hat. Aber in Angela Merkels Kabinett herrschte uneingeschränkter Kündigungsschutz, ätzte jüngst der "Spiegel" mit Blick auf Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der in seinem Amt selten eine glückliche Figur machte und im Februar 2009 schließlich auf eigenen Wunsch ausschied.
Der Politikwissenschaftler Jörn Fischer untersucht derzeit Mechanismen und Hintergründe von Ministerrücktritten seit 1949. "Eine halbwegs ernsthafte Rücktrittsdebatte gab es eigentlich nur bei Frank-Walter Steinmeier, doch er war als Außenminister und später Vizekanzler zu wichtig für die Statik der Koalition", sagt Fischer. Steinmeier war unter Druck geraten, als Details zur Rolle des Bundesnachrichtendienstes im Irak-Krieg und zum unschuldig im US-Gefangenenlager Guantánamo festgehaltenen Murat Kurnaz bekanntwurden - als Kanzleramtschef war er unter Rot-Grün bis 2005 für die Geheimdienste zuständig.
Keine großen Skandale
Der an der Universität Köln forschende Fischer nennt zwei Gründe für die personelle Konstanz: Zum einen habe Kanzlerin Merkel in der großen Koalition auf weniger Minister direkten Zugriff, da die Union nicht so viele Ressorts hat wie in einer Koalition mit einem kleinen Partner. Im Koalitionsvertrag von 2005 steht: "Das Vorschlagsrecht für die jeweiligen Ämter liegt bei den verantwortlichen Parteien." Fischer: "Das ist etwas, was unter Kanzler Helmut Kohl undenkbar gewesen wäre." Der 16 Jahre amtierende CDU-Kanzler habe bei allen Ministerbesetzungen selbst das letzte Wort haben wollen. "Es ist bezeichnend, dass Glos sein Rücktrittsgesuch an seinen Parteichef Horst Seehofer und nicht an Merkel schickte", bilanziert Fischer.
"Hinzu kommt, dass es in der zu Ende gehenden Wahlperiode schlicht an den großen Skandalen gefehlt hat, die einen Minister ernsthaft hätten gefährden können." Dementsprechend sei es der Opposition aus drei kleinen Parteien (Grüne, Linke, FDP) nur selten gelungen, ernsthafte Rücktrittsdebatten auszulösen. So blieb es neben Glos bei zwei weiteren freiwilligen Rücktritten: Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) verließ 2007 das Kabinett, um sich um seine krebskranke Frau zu kümmern. 2008 räumte Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) den Stuhl, um bayerischer Ministerpräsident zu werden.
Verteidigungsminister treten am häufigsten zurück
Zum Vergleich: In der Großen Koalition 1966 bis 1969 gab es vier freiwillige Rücktritte. Justizminister Gustav Heinemann etwa verzichtete 1969 auf sein Amt, um für das Bundespräsidentenamt zu kandidieren. Nur Innenminister Paul Lücke (CDU) trat aus politischen Gründen zurück - er schied im Streit um eine Reform des Wahlrechts aus dem Kabinett von Kurt-Georg Kiesinger (CDU) aus. Die seit 1949 höchste Rücktrittsquote hat übrigens das Verteidigungsministerium mit sieben Rücktritten bei 13 Amtsinhabern.
Eine ungewöhnliche Rücktrittshäufung gab es in der ersten Amtszeit von Kanzler Gerhard Schröder (SPD), als fünf Minister aufgrund von Skandalen ihren Hut nehmen mussten. Fischer führt das auf die damals auf Bundesebene gänzlich unerfahrene Regierungsmannschaft zurück. Statistisch gesehen sei das Ministeramt in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern jedoch ein sicherer Arbeitsplatz. "Untersuchungen haben gezeigt, dass in Koalitionsregierungen das Risiko um 40 Prozent geringer ist, ein Ministeramt zu verlieren als in Ein-Parteien- Regierungen wie etwa in Großbritannien."
Quelle: ntv.de, Georg Ismar, dpa