Politik

"In Bewegung geraten" Missbrauchs-Streit beigelegt

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Zollitsch, begraben ihren Streit über die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs und wollen künftig besser kooperieren. Nach Schätzungen des Vereins ehemaliger Heimkinder geht die Zahl der Missbrauchsfälle in die Hunderttausende.

Ministerin und Kirchenmann beenden ihre Konfrontation.

Ministerin und Kirchenmann beenden ihre Konfrontation.

(Foto: REUTERS)

Im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch Minderjähriger wollen Bundesregierung und katholische Kirche künftig an einem Strang ziehen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, legten ihren Streit über die Aufarbeitung der Übergriffe bei. Die "umfassende" Aufklärung vergangener Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen müsse "entschlossen" vorangetrieben werden, teilten sie nach ihrem Treffen in Berlin mit. Im Zentrum der Aufarbeitung müssten die Opfer stehen. Ihnen sei großes Leid zugefügt worden.

Der Ministerin geht es vor allem darum, den "staatlichen Strafanspruch" durchzusetzen - also dafür zu sorgen, dass Täter ihre gerechte Strafe erhalten. Hier sieht sie in der Kirche deutliche Fortschritte. "Ich kann feststellen, dass in der katholischen Kirche Vieles in Bewegung geraten ist", sagte sie. So würden derzeit die Richtlinien der Bischofskonferenz überarbeitet. Sie verpflichten die Kirche bisher nur bei einem erhärteten Verdacht und nicht verjährten Fällen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Insbesondere will die Ministerin verhindern, dass Fälle erst dann ans Tageslicht kommen, wenn sie schon lange verjährt sind.

Ehemalige Heimkinder demonstrieren in Berlin

Heimkinder fordern von Staat und Kirche Entschädigungen und Entschuldigungen.

Heimkinder fordern von Staat und Kirche Entschädigungen und Entschuldigungen.

(Foto: dpa)

Zeitgleich forderten vor dem Brandenburger Tor rund 250 ehemalige Heimkinder von Staat und Kirche Entschädigungsleistungen und Entschuldigungen. Sie werfen den Institutionen vor, in den 1950er bis spät in die 1970er Jahre die Menschenrechte vieler Kinder in Kinderheimen verletzt zu haben: Neben Zwangsarbeit, Mangelernährung und Bildungsentzug habe es extreme körperliche und sexuelle Gewalt gegeben. Nach Schätzungen des Vereins ehemaliger Heimkinder (VEH) geht die Zahl der Missbrauchsfälle in die Hunderttausende.

Für viele der Demonstranten war es der erste Schritt in die Öffentlichkeit nach langem Schweigen. Die Protestierenden errichteten ein Holzkreuz, an dem sie nackte Babypuppen festbanden. Die überlebensgroße Papp-Figur einer "Prügelnonne" mit Kreuz und Rohrstock begleitete die Demonstration.

Die Missbrauchsfälle in den Kinderheimen sollen in die Hunderttausende gehen.

Die Missbrauchsfälle in den Kinderheimen sollen in die Hunderttausende gehen.

(Foto: dpa)

Die Täter, vor allem die Kirche, sollten zudem in Krankenkassen einzahlen, um die Traumatherapien der Betroffenen zu finanzieren, forderten die Demonstranten. Der Protestzug richtete sich auch gegen den "Runden Tisch Heimerziehung", der am Donnerstag erneut in Berlin zusammenkam. Das Forum arbeitet seit Anfang 2009 Missbrauchsfälle in den Heimen der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren auf. Der Betroffenen-Verein warf dem Gremium vor, zugunsten der "Täterorganisationen" die Missbrauchsfälle zu bagatellisieren.

EKD: Kirche werden sich nicht drücken

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, sagte dem Sender RBB: "Die Kirchen werden sich der Forderung nach materieller Entschädigung für erlittenes Leid nicht entziehen." Man wolle aber die Diskussionen des Runden Tisches abwarten. Am Donnerstag waren auch bei der evangelischen Kirche in Köln zehn Missbrauchsfälle aus den 40er, 50er und 60er Jahren bekanntgeworden. Die Täter seien aber alle tot.

Papst ruft zur Buße auf

Papst Benedikt XVI. wird vorgeworfen, sich bisher nicht zu den Missbrauchsfällen in deutschen katholischen Einrichtungen geäußert zu haben.

Papst Benedikt XVI. wird vorgeworfen, sich bisher nicht zu den Missbrauchsfällen in deutschen katholischen Einrichtungen geäußert zu haben.

(Foto: dpa)

Papst Benedikt XVI. hat sich in einer Messe indirekt zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche geäußert und alle Christen zur Buße aufgerufen. "Wir Christen haben, auch in der letzten Zeit, oft das Wort Buße vermieden", sagte er in einer Andacht im Vatikan vor Mitgliedern der Päpstlichen Biblischen Kommission. "Jetzt, angesichts der Angriffe der Welt auf uns, die von unseren Sünden sprechen, sehen wir, dass Buße tun können eine Gnade ist." Zu sehen sei auch, wie notwendig die Buße sei. Der Schmerz der Buße, das heiße der Reinigung und der Wandlung, bedeute auch Erneuerung und sei das Werk göttlicher Barmherzigkeit.

Der Tübinger Theologe Hans Küng kritisierte dagegen Benedikt XVI., der am kommenden Montag (19.4.) fünf Jahre im Amt ist. Er finde nicht die Wege, um die Kirche aus ihrer tiefsten Vertrauenskrise seit der Reformation zu führen, schrieb Küng unter anderem in der "Neuen Zürcher Zeitung" und der "Süddeutschen Zeitung". Er rief die Bischöfe zum Widerstand gegen den Papst auf. Am Tag vor dem 83. Geburtstag von Benedikt XVI. an diesem Freitag schrieb Küng in einem offenen Brief an die Bischöfe, sie dürften nicht wie "Statisten ohne Recht und Stimme wirken". Es sei dringend nötig, dass Reformen in der Kirche notfalls gegen den Willen des Papstes angeschoben würden.

Die katholische Kirche war in den vergangenen Wochen verstärkt wegen der zahlreichen Missbrauchsfälle durch Priester in Irland, Deutschland und in den USA in die Kritik geraten. Wiederholt ist dem Vatikan dabei vorgeworfen worden, Missbrauchsfälle vertuscht und verschleppt zu haben. Auch Joseph Ratzinger geriet in die Kritik, weil viele Fälle aus der Zeit stammen, in der er Präfekt der zuständigen Glaubenskongregation war.

Runder Tisch nimmt Arbeit auf

Am Freitag nächster Woche nimmt ein Runder Tisch der Bundesregierung seine Arbeit auf, um die Missbrauchsfälle aufzuarbeiten. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung der Justizministerin wird sich dabei mit den rechtlichen Schlussfolgerungen befassen. Die Bischofskonferenz will sich daran aktiv beteiligen. Thema soll neben der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs auch die Frage sein, wie das Leid der Opfer in den Fällen, die bereits verjährt sind, "angemessen anerkannt" werden könne.

Zu den betroffenen Institutionen gehört auch die nicht-konfessionelle Odenwaldschule in Hessen, in der am Freitag die Jubiläumsveranstaltungen zum 100-Jährigen Bestehen beginnen. Nur wenige Stunden zuvor waren neue Vorwürfe gegen Ex-Schulleiter Gerold Becker bekanntgeworden.

Quelle: ntv.de, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen