Politik

Abgeordnete spielen im Bundestag Mit der Waffe im Anschlag

Abgeordnete des Bundestages zielen und schießen in Counter-Strike. Tanzen vor dem Bildschirm. Fahren Rennen auf dem Nintendo. Über 30 Computerspiele können sie bei der "1. Politiker-LAN" ausprobieren.

"Was machen die da eigentlich?" 1. Politiker-LAN im Bundestag.

"Was machen die da eigentlich?" 1. Politiker-LAN im Bundestag.

(Foto: Roland Peters)

Burkhardt Müller-Sönksen wirkt souverän. Die Waffe im Anschlag, die Maus in der rechten Hand, die andere auf der Tastatur. Um ihn herum Fernsehkameras, Fotografen, viele Journalisten, auf der Jagd nach einem symbolischen Bild: Ein Politiker spielt am Computer. Auf dem Schirm Counter-Strike, der seit Jahren umstrittene Action-Titel. "Also bis jetzt sehe ich hier nichts von Blut", sagt Müller-Sönksen, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Zwei Gegner kommen um die Ecke. Müller-Sönksen drückt ab und trifft.

Es ist kurz nach halb neun am Abend im Reichstagsgebäude. Reguläre Besucher sind keine da, die Glaskuppel ist gesperrt. Terrorgefahr. Ganz oben, im dritten Stock, hier sind die Fraktionen zuhause, können die Mitglieder des Bundestages heute selbst Terrorist sein. Oder Anti-Terror-Einheit. Abhängig davon, auf welche Seite der langen Tafel in den Räumen der FDP sie sich setzen.

An dessen Kopfende steht Brigitte Zypries. Sie lässt sich erklären, was hier überhaupt passiert. "Ich wusste gar nicht, dass es auch eine Bundesliga bei sowas gibt", sagt sie sichtlich erstaunt. Die Sozialdemokratin war bis 2009 Justizministerin in der Großen Koalition mit der CDU/CSU. In ihre Amtszeit fallen die Amokläufe von Emsdetten und Winnenden. Taten, die in Verbindung gebracht werden mit dem Spiel auf den Bildschirmen vor ihr.

Vor allem die Steuerung macht Probleme

Die Initiatoren nebenan können sich eine Spitze nicht verkneifen: "Hier sind viele Innen- und Rechtspolitiker anwesend, die sonst etwas zu viel reden, und es jetzt selbst ausprobieren können", sagt Manuel Höferlin von den Liberalen. Neben ihm stehen Dorothee Bär von der CSU und sein Parteikollege Jimmy Schulz. Der sitzt in der Internet-Enquete-Kommission des Bundestages und im Unterausschuss Neue Medien. Mit leicht errötetem Kopf redet er im Rampenlicht, freut sich über das Interesse der Medien - und auf "eine Runde Mario Kart", wie er sagt.  Die schwangere Dorothee Bär witzelt: "Die Kollegen können nicht nur im analogen Leben nicht verlieren".

Counter-Strike ist nur eines von etwa 30 Spielen, das für die deutschen Volksvertreter bereit steht. Damit die Abgeordneten eine Ahnung davon bekommen, worüber sie eventuell in der Vergangenheit schon Gesetze verabschiedet haben. Und es in Zukunft vielleicht noch tun werden.

An der Konsole, am PC, mit Sonys und Microsofts neuen Bewegungssteuerungen oder mit regulären Controllern in der Hand fallen die anwesenden Abgeordneten in ihren Anzügen besonders auf. Souverän auf dem politischen Parkett, wirken sie hier etwas hilflos. Hauptsächlich macht die Steuerung Probleme. Wann muss welche Taste gedrückt werden?

Die Veranstaltung ist eine kleine Messe, eigens aufgebaut für die Entscheider. Wenn Politiker nicht spielen, müssen die Spiele eben zu den Politikern kommen.  Auf der halben Fraktionsebene über dem Plenarsaal blinkt es, tönt Musik, tanzen junge Frauen vor großen Flachbildschirmen vorgegebene Bewegungen nach. An der Seite eine Bar, ein Buffet mit Schnittchen, mit Blick nach unten. An den Konsolen und PCs stehen Unternehmensvertreter von Spielefirmen, die der Bundesverband für Unterhaltungsindustrie im Auftrag der Abgeordneten eingeladen hat. Die meisten zeigen Software, die keine politischen Kontroversen hervorrufen können; Kinder-, Renn-, Bewegungsspiele.

Die Drogenbauftragte mahnt

THQ, ein Unternehmen mit Umsatz von über 300 Millionen US-Dollar pro Quartal, hat sich mit einem Shooter in den Bundestag getraut. Das kommunistische Korea fällt in die USA ein, der Spieler nimmt als Widerstandskämpfer die Feinde ins Fadenkreuz. Der PR-Mann hadert: "Ausgerechnet bei der brutalsten Szene haben fast alle Fernsehkameras draufgehalten." Insgeheim weiß er: Schlechte Presse gibt es nicht, besonders nicht in der Spielebranche. Schräg gegenüber stehen Abgeordnete vor einem der vielen Konsolen und duellieren sich auf virtuellem grünen Rasen. Fortuna Düsseldorf gegen Union Berlin. Es gibt Verlängerung.

Die Drogenbeauftrage der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, schreitet vor die Kameras  und hebt verbal den Zeigefinger: "Viele Kollegen, die sich hier vergnügen, vergessen, dass es Leute gibt, die aus der virtuellen nicht mehr in die reale Welt zurückfinden." Eine verlässliche Zahl der Betroffenen habe sie nicht. Da gebe es verschiedene Studien mit unterschiedlichen Angaben, sagt sie ausweichend. Die 60-jährige FDP-Politikerin wiederholt jedoch die Linie der Liberalen: Auch die Lehrer in den Schulen seien in der Pflicht.

Der Medienpädagoge Prof. Dr. Bend Schorb versucht, die Kontroverse über Spiele zu entschärfen: "Ältere Menschen sehen bei Spielen eher die Bilder, doch die Probleme bei Online-Spielen hängen nicht mit dem Blut zusammen, sondern mit der sozialen Hierarchie. Wer sagt, wo's langgeht?" Positiv sei, dass es einen unbewussten, inhaltlichen Lerneffekt gebe.

Brigitte Zypries beim Sport.

Brigitte Zypries beim Sport.

(Foto: Roland Peters)

Nach Donkey Kong kommt Counter-Strike

Burkhard Müller-Sönksen ist inzwischen virtuell gestorben. Nun postiert sich der 51-Jährige neben dem Counter-Strike-Tisch und berichtet, auch er habe früher gespielt. Asteroids und Donkey Kong. Was er abseits von Counter-Strike ausprobiert habe? "Kaum etwas, ich bin ja nicht von den Mikrofonen weggekommen." Wie ein Vorwurf klingt das nicht.  Seine Tochter ist 15 Jahre alt, und am Frühstückstisch, "der Familienzeit", sagt Müller-Sönksen, ist auch das Digitale ein Thema. Ob er seiner Tochter erlauben würde, das ab 16 Jahren freigegebene Counter-Strike zu spielen? Der FDP-Politiker zögert. "Fragen Sie mich in einem Jahr nochmal."

Keine Fragen mehr? Müller-Sönksen geht in den Hauptraum, postiert sich in seinem passgenauen Anzug vor einer Konsole und imitiert die vorgegebenen Tanzbewegungen auf dem Bildschirm. Brigitte Zypries hat derweil einen Sony-Move-Controller in der Hand und versucht sich mitsamt Bewegungssteuerung an Tennis. Parlamentssport auf der Fraktionsebene. Da muss man weniger Knöpfe drücken.

Quelle: ntv.de

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