McCain in St. Paul Müde und uninspiriert
05.09.2008, 09:58 UhrDie Bühne in St. Paul war eigens für den Höhepunkt des Parteitags umgebaut worden. Nicht die große Show sollte es sein, sondern ein "town-hall feel", die Atmosphäre einer kleinen Bürgerversammlung - Gegenentwurf zum Auftritt von Barack Obama im Football-Stadion von Denver.
Doch das XCel Energy Center ist kein Gemeindesaal. McCain steht zwar auf einem Steg, der ins Publikum ragt. Anders als von den Parteistrategen erhofft, bleibt er dort aber ein Fremdkörper. Seine Rede ist solide, aber uninspiriert. Eine Wahlkampfrede unter vielen.
Er gibt sich alle Mühe. Er konzentriert sich auf den Teleprompter. Nur zehn Mal bringt er seine notorische Anrede "my friends" unter. Er legt das Glaubensbekenntnis der Republikaner ab: "Wir glauben an niedrige Steuern, Ausgabendisziplin und offene Märkte", "wir glauben an eine starke Verteidigung", an Arbeit, an die Religion, an "eine Kultur des Lebens".
"USA, USA"
An den Delegierten liegt es nicht. Sie skandieren "John McCain" und immer wieder "USA, USA". Sie schreien zwei Störer nieder, die gegen den Krieg im Irak protestieren. Sie versuchen, die Rede wie eine fulminante Fernsehpredigt enden zu lassen: "Kämpft mit mir. Kämpft mit mir", ruft McCain auf seine etwas ungelenke Art, untermalt vom Jubel der republikanischen Gemeinde. "Kämpft für die Ideale und den Charakter eines freien Volkes. Kämpft für die Zukunft unserer Kinder." Eine Delegierte antwortet "Ja! Ja!"
Aber der Jubel passt nicht zur Rede. Natürlich attackiert McCain seinen Mitbewerber, doch die Kritik bleibt eine Pflichtübung. Wie Obama eine Woche zuvor drückt McCain dem Rivalen seinen Respekt aus. Keine Spur von dem Spott, mit dem McCains Vize-Kandidatin Sarah Palin am Vorabend die Delegierten begeistert hatte.
Keine Überraschungen
Inhaltlich bleibt McCain vage. Er verspricht, die Steuern zu senken, "wo ich kann. Mein Gegner wird sie erhöhen". Er werde neue Märkte für unsere Güter und Dienstleistungen öffnen. Obama werde sie schließen. "Ich werde die Ausgaben des Staates beschneiden. Er wird sie erhöhen. Meine Steuersenkungen werden Arbeitsplätze schaffen. Seine Steuererhöhungen werden Arbeitsplätze vernichten." McCain wirbt für ein Gesundheitssystem, in dem nicht "ein Bürokrat zwischen Ihnen und Ihrem Arzt steht".
Zum Klimawandel gibt es nur einen Halbsatz, der dem Thema Energieunabhängigkeit untergeordnet ist. "Wir müssen alle Ressourcen nutzen und alle notwendigen Technologien entwickeln, um unsere Wirtschaft vor dem Schaden zu retten, der durch steigende Ölpreise entstanden ist, und um die Gesundheit unseres Planeten wiederherzustellen." Wichtiger ist McCain jedoch, die USA von Ländern unabhängig zu machen, "die uns nicht sehr mögen". Erneuerbare Energien rangieren für ihn dabei erst an dritter Stelle, nach neuen Ölbohrungen und mehr Atomkraftwerken.
Al Kaida, Iran, Russland
Keine Überraschung sind auch die scharfen Attacken gegen Russland, das McCain nach Al Kaida und den Iran als dritte sicherheitspolitische Herausforderung nennt. "Die russischen Führer" seien "vom Öl reich gemacht und durch die Macht korrumpiert", sie seien "in ein kleines, demokratisches Nachbarland eingefallen, um eine stärkere Kontrolle über die Ölversorgung der Welt zu erlangen, andere Nachbarn einzuschüchtern und ihren Machtanspruch auf das alte russische Reich zu befördern".
McCain präsentiert sich als "Maverick", als Querkopf. "Ich arbeite nicht für eine Partei. Ich arbeite nicht für Lobbygruppen. Ich arbeite nicht für mich selbst. Ich arbeite für Sie." Sehr ausführlich erzählt er von seiner Kriegsgefangenschaft in Vietnam, dass er gefoltert wurde, nachdem er es abgelehnt hatte, früher als seine Kameraden freigelassen zu werden. In vietnamesischer Gefangenschaft habe er sich in sein Land "verliebt".
Den unentschlossenen Wählern sagt McCain, er wolle versuchen, ihr Vertrauen zu verdienen. Doch warum sollen sie ihn wählen? Weil er ein Kriegsheld ist? Weil er seinem Land dienen möchte? McCain spricht viel von der "Sache", die größer ist als er selbst. Noch mehr spricht er von sich.
Ein Zuschauer gähnt
Sarah Palin hatte die fremdelnden Herzen der republikanischen Delegierten am Vorabend im Sturm erobert. Sie brachte Schwung in einen Parteitag, der im Vergleich zur demokratischen Convention bis dahin nicht viel zu bieten hatte.
Nicht nur im Vergleich zu Obama, auch im Vergleich zu Palin hat McCain keine gute Figur gemacht. Als er über seine bildungspolitischen Pläne spricht, zeigt die Regie einen Zuhörer, der just in diesem Moment zu gähnen beginnt. Nach der Rede mischen McCain und Palin sich unters Volk. Als McCain den Saal verlässt, schüttelt Palin noch immer eifrig Hände.
Quelle: ntv.de