Politik

"Empörung und Zorn" Müntefering im Wahlkampf

Mit einer offenen Kampfansage an die Union hat Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) auf das weitgehende Scheitern der Gespräche über die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Deutschland reagiert. Die Weigerung des Koalitionspartners, im Koalitionsausschuss über die Sittenwidrigkeit von Löhnen zu verhandeln, habe bei ihm "Empörung und Zorn" ausgelöst, sagte der Arbeitsminister.

"Was ist das für eine Moral?", erklärte er an die Adresse des Regierungspartners. Aus seiner Sicht seien die erzielten Vereinbarungen "kein Kompromiss".

Union "rundum zufrieden"

Dagegen zeigte sich CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla "rundum zufrieden" mit dem Ergebnis des Koalitionsausschusses. "Es ist, glaube ich, ein wirklich guter Tag für die Beschäftigten in Deutschland", sagte Pofalla bei n-tv. "Wir haben den einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in ganz Deutschland verhindert und wir haben den Vorrang der Tarifautonomie für die Lohnfindung bestätigt".

Die Tarifvertragsparteien seien gestärkt worden, "weil sie jetzt sogar in Bereichen, wo wir entweder keine Tarifverträge haben oder nur Tarifverträge mit geringer Bindung, den Tarifvertragsparteien das Recht übertragen haben, uns in diesen Bereichen Empfehlungen zu machen", so Pofalla weiter.

Müntefering schon im Wahlkampf

Die Lehre aus der "vertanen Chance" sei für ihn: Mindestlöhne könnten nicht mit der Union, sondern nur "gegen sie" durchgesetzt werden, sagte Müntefering und fügte hinzu, er werde dabei seinen Teil beitragen. Er glaube nicht mehr, dass die Union sich in diesem Punkt noch bewegen werde. Deshalb müsse nach "anderen Wegen" gesucht werden, um Druck zu machen. Spätestens bei der Bundestagswahl 2009 müssten die Bürger darüber entscheiden. Er sei fest überzeugt davon, dass es in nächster Zukunft auch in Deutschland Mindestlöhne geben werde.

Auf Nachfrage stellte der sichtlich enttäuschte Vizekanzler klar: "Das heißt nicht, dass in irgendeiner Weise die Koalition in Frage steht." Auch mit Rücktritt habe er trotz seiner Verärgerung nicht gedroht. Das wäre nicht angemessen gewesen, sagte er. "Ich möchte, dass die Koalition erfolgreich ist."

Keine neue Kritik an Merkel

Müntefering vermied Kritik an Kanzlerin Angela Merkel, hielt aber an einer Interview-Äußerung von Ende Mai fest, in der er Merkel durch einen Vergleich mit Altkanzler Gerhard Schröder indirekt vorgehalten hatte, parteipolitische Interessen vor ihre Aufgaben als Kanzlerin zu stellen. Gesagt sei gesagt, sagte Müntefering, er wolle das jetzt aber nicht verschärfen. "Ich will dazu beitragen, dass die Leute in der Koalition zusammenbleiben können", sagte Müntefering weiter.

Friseurinnen knapp an der Grenze

Das Entsendegesetz soll auf solche Branchen ausgeweitet werden, die zu mindestens 50 Prozent tarifvertraglich organisiert sind. Als Branchen, deren Tariflöhne über das Entsendegesetz für allgemein verbindlich erklärt werden könnten, nannte Müntefering das Bewachungs- und Entsorgungsgewerbe, die Leiharbeit und Postdienstleistungen. Knapp an der Grenze dazu stünden das Friseurhandwerk, das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie der Einzelhandel. Stichtag für gemeinsame Anträge der Tarifparteien soll der 31. März 2008 sein.

Klar unter der von der Union verlangten Tarifbindung von 50 Prozent liegen laut dem Minister zurzeit etwa die Fleischbranche, die Forstwirtschaft und der Gartenbau. Für diese Branchen soll nun das Mindestarbeitsbedingungsgesetz aus dem Jahr 1952 "gangbar gemacht und auf den aktuellen Stand gebracht werden", wie Müntefering erklärte.

Ein bundesweit zuständiger Hauptausschuss mit sechs Experten von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie einem neutralen Vorsitzenden soll künftig feststellen, ob und in welchen Bereichen Mindestlöhne festgesetzt werden müssen. Über die Höhe verhandeln dann untergeordnete Fachausschüsse; die Verordnung erlässt schließlich das Bundeskabinett. Diese Bedingungen wären dann für alle in- und ausländischen Arbeitnehmer zwingend.

Müntefering sagte, insgesamt werden nach seiner Schätzung mehr als 4,5 Millionen Beschäftigte von den beiden Regelungen erfasst werden.

Quelle: ntv.de

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