Hilfslos im Bündnisfall Nato könnte Russland nichts entgegensetzen
18.05.2014, 16:01 Uhr
Übung in Litauen: Ein britisches Typhoon FGR4 bei einem gemeinsamen Manöver von Großbritannien und Polen über dem Baltikum.
(Foto: dpa)
Unternähme Russland den Versuch, das Baltikum zu annektieren, würde die Nato daran zerbrechen, meinen Militärexperten. Einem Bericht zufolge wird das Verteidigungsbündnis seinen eigenen Ansprüchen schon lange nicht mehr gerecht.
Die Nato sieht sich bei einer etwaigen russischen Bedrohung nicht in der Lage, die drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland mit konventionellen militärischen Mitteln zu schützen. Dies geht einem Bericht des "Spiegel" zufolge aus einer Einschätzung des Bündnisses für den Fall einer russischen Aggression hervor. "Russlands Fähigkeit und Absicht, ohne große Vorwarnung bedeutsame Militäraktionen zu unternehmen, stellt eine weitreichende Bedrohung für den Erhalt von Sicherheit und Stabilität in der Euro-Atlantischen Zone dar", heißt es dem "Spiegel" zufolge im Entwurf eines Papiers des Nato-Verteidigungsplanungsausschusses.
Das Nachrichtenmagazin beruft sich auf "eingeweihte Kreise in der Nato und in der Bundesregierung". "Russland ist fähig, kurzfristig und an beliebigem Ort eine militärische Bedrohung von lokaler oder regionaler Größe aufzubauen", heiße es in dem Papier. Der "Spiegel" zitiert auch den CDU-Politiker und EU-Außenexperten Elmar Brok, der zu einer aus militärischer Sicht niederschmetternden Einschätzung kommt: "Als die baltischen Staaten in die Nato aufgenommen wurden, gab es keine militärische Bedrohung durch Russland. (...) Derzeit könnte das Bündnis das Baltikum mit konventionellen militärischen Mitteln nicht schützen."
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin warnte davor, die Ukraine-Krise als Rechtfertigung für Aufrüstung zu missbrauchen. "Ich sehe zurzeit niemanden, der beabsichtigt das stärkste Militärbündnis der Welt anzugreifen", sagte Trittin, der Mitglied der parlamentarischen Versammlung der Nato ist. Es brauche "nicht mehr Rüstungsausgaben, sondern eine politische Lösung der Ukraine-Krise". Hierzu könne die NATO nichts beitragen, sie könne eine solche aber mit einer "Rückkehr zu einer Kalten-Kriegs-Politik erschweren".
Russische Armee massiv modernisiert
Laut "Spiegel" vermutet die Bundesregierung, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Nato in ihrer derzeitigen Ohnmacht vorführen will, um das Bündnis zum Zerbrechen zu bringen. Denn wenn sie ihrem Grundversprechen - der Angriff auf einen Mitgliedsstaat bedeutet einen Angriff auf alle Nato-Staaten und den Bündnisfall - nicht mehr gerecht werden könne, breche sie das Versprechen, das ihre Existenz rechtfertige. "Selbst Merkel weiß nicht, was für Putin wirklich noch tabu ist", heißt es in dem "Spiegel"-Text.
Die Nato habe Fähigkeiten zum Kampf "in konventionellen, großangelegten, hoch-intensiven Konflikten in Europa" verringert. Laut Nato-Militärs gebe es Schwächen bei Panzertruppen und Infanterie, die Minen- und U-Boot-Bekämpfung sei vernächlässigt worden, ebenso die Flugabwehr mit Flak- und Patriot-Raketen. Und die Piloten würden kaum noch für den Luftkampf trainieren.
Dem gegenüber stünde eine massiv modernisierte russische Armee. Der "Spiegel" zitiert nicht weiter kenntlich gemacht westliche Militärexperten, die einräumen, dass die Russen "inzwischen wieder Fähigkeiten und Systeme" hätten, "über die man nicht mal eben hinweggehen kann". Westliche Politiker dagegen hätten zu lange eine "gewisse Unterschätzung des russischen Modernisierungswillens gepflegt".
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski forderte Militärpräsenz der Nato in seinem Land: "Es gibt Basen in Großbritannien, Spanien, Deutschland, Italien und der Türkei. Das sind sichere Plätze. Doch da, wo Basen wirklich nötig wären, gibt es sie nicht."
Quelle: ntv.de, nsc/dpa