Politik

Rasche Ratifizierung erhofft Neuanfang in Europa

Die Bemühungen um eine neue rechtliche Grundlage der Europäischen Union treten nach sechs Jahren schwieriger und teils dramatischer Debatten in ihre Endphase. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten unterzeichnen am Donnerstag in Lissabon zwei Verträge, die spätestens ab Anfang 2009 in Kraft treten sollen. Der britische Regierungschef Gordon Brown wird die Verträge wegen "lange bekannten Terminproblemen" nicht gemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungschefs, sondern gesondert unterzeichnen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach im Bundestag in Berlin von einem "historischen Durchbruch" und einer wichtigen Wegmarke für mehr Handlungsfähigkeit Europas. Mit den "Lissabonner Verträgen" werde die Grundlage für eine "neue Europäische Union im 21. Jahrhundert" gelegt. "Europa wird demokratischer", sagte Merkel in einer Regierungserklärung. Union, SPD, FDP und Grüne kündigten ihre Zustimmung zur Ratifizierung an, die in Deutschland bis Mai kommenden Jahres abgeschlossen sein soll. Frankreich, Polen und die Slowakei wollen noch schneller sein.

Kein glatter Weg zur Ratifizierung

Die "Lissabonner Verträge" sollen die EU-Verfassung ersetzen, die 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war. Bisher ist für die neuen Verträge lediglich in Irland ein Referendum geplant. Dort sind nach Umfragen noch 60 Prozent der Wähler unentschieden. Die anderen Mitgliedstaaten wollen per Parlamentsbeschluss ratifizieren. Auch die oft europakritischen Dänen werden nicht zur Urne gerufen. Doch auch in Großbritannien machen sowohl Opposition als auch Labour-Politiker Druck für eine Volksabstimmung.

Lautstarke Forderungen nach Referenden von Abgeordneten aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen verdarben den Präsidenten von Parlament, Rat und Kommission im Europäischen Parlament am Mittwoch bereits die Zeremonie zur Unterzeichnung der Grundrechtecharta. "Egal, wie laut sie stören und schreien, heute ist ein Tag von grundlegender Bedeutung für Europa", rief der portugiesische Regierungschef und Ratspräsident Jose Socrates vor den teils aufgebrachten Abgeordneten. Referenden über die EU sind nach dem Scheitern vor zwei Jahren gefürchtet.

Erste Bewährungsprobe am Freitag

Nach Ansicht des FDP-Außenpolitikers Werner Hoyer müssen die Regierenden bereits beim unmittelbar folgenden EU-Gipfel am Freitag in Brüssel zeigen, wie ernst sie es mit der proklamierten Einigkeit nehmen. Dann suchen die EU-Mitglieder nach einer gemeinsamen Haltung zu einer möglichen Unabhängigkeit des Kosovos. Der Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin begrüßte insbesondere den Ausbau demokratischer Rechte für das Europaparlament. Die Sprecherin der Linken, Monika Knoche, bemängelte dagegen eine "neoliberale" Ausrichtung in dem Dokument.

Die Verträge bewirken, dass künftig besonders im Bereich Justiz und innere Sicherheit mehr Entscheidungen im EU-Ministerrat mit Mehrheit getroffen werden können. Ein neues Abstimmungsverfahren sieht vor, dass künftig die Staaten nicht mehr unterschiedlich viele Stimmen im Ministerrat haben. Eine Mehrheit gilt als erreicht, wenn 55 Prozent der Staaten mit mindestens 65 Prozent der Bevölkerung zustimmen. Die EU-Kommission soll verkleinert, die Gemeinsamkeit der Außenpolitik verstärkt werden.

Als "Schlag ins Gesicht" von Parlamentariern und als "Geheimzirkel" wertete die FDP im Bundestag den vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy geforderten "Rat der Weisen" für EU-Fragen. Dieser Rat wird aller Voraussicht nach am Freitag vom EU-Gipfel in Brüssel beschlossen. Sarkozy hatte die Schaffung dieses Rates zur Bedingung dafür gemacht, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fortgesetzt werden. Der "Weisenrat" soll unter anderem über die "Grenzen der Union" beraten.

Die Unterzeichnung der Verträge findet im Hieronymus-Kloster in Lissabon statt, einem der bedeutendsten Bauwerke Portugals. Das Kloster gilt als Symbol für die glorreiche Geschichte des Landes. In dem Kloster stehen die Sarkophage von portugiesischen Königen, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen. Auch Nationalhelden wie der Entdecker Vasco da Gama (1469-1524) oder der Dichter Lus de Cames (1524-1580) haben dort ihre Grabstätten.

Quelle: ntv.de

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