Vergewaltigung sanktioniert Neues Ehegesetz in Kabul
03.04.2009, 21:21 UhrEin neues afghanisches Familiengesetz, das die Rechte schiitischer Frauen beschneidet, sorgt international für heftige Kritik. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer prangerte das Gesetz an, das nach Ansicht von Kritikern Vergewaltigung in der Ehe erlaubt. Unmittelbar vor NATO-Gipfel, bei dem es um eine Verstärkung des westlichen Engagements in Afghanistan geht, sagte er der britischen BBC: "Wie kann ich das verteidigen, und wie können die Briten das verteidigen, wenn unsere Jungen und Mädchen dort bei der Verteidigung der Menschenrechte sterben, und da gibt es ein Gesetz, das die Menschenrechte fundamental verletzt?" Dies beunruhige ihn sehr.
Kanadas Außenminister Lawrence Cannon forderte eine Klarstellung von Präsident Hamid Karsai. "Dieses Gesetz ist ein Schritt in die falsche Richtung", kritisierte die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay.
Karsai hatte das heftig umstrittene Gesetz, das für die etwa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung umfassende schiitische Minderheit gilt, vor wenigen Tagen unterzeichnet. Es war auch von den Vereinten Nationen und Menschenrechtlern scharf kritisiert worden.
Gesetz regelt Sex von Ehepaaren
Nach Angaben eines schiitischen Abgeordneten heißt es darin, dass eine Ehefrau "den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit nachzukommen" habe. Nur "auf Grundlage rechtmäßiger und logischer Entschuldigungen oder mit Erlaubnis ihres Mannes" dürfe sie Sex in der Ehe verweigern. In der Ursprungsfassung, die nach einer ersten heftigen Kritik geändert wurde, hatte es geheißen: "Die Ehefrau trägt die Verantwortung für die sexuelle Befriedigung ihres Mannes."
Der "Spiegel" zitierte Passagen aus dem Gesetzestext, wonach der Mann, falls er nicht auf Reisen sei, mindestens jede vierte Nacht das Recht auf Geschlechtsverkehr mit seiner Frau habe. Ehemänner dürften ihre Frauen von jeder "unnötigen" Beschäftigung abhalten. Frauen müssten sich bis auf bestimmte Ausnahmen die Erlaubnis des Ehemannes einholen, wenn sie das Haus verlassen wollten. Nach Angaben des Menschenrechtskommissariats der Vereinten Nationen ist in dem Gesetz zudem festgeschrieben, dass schiitische Frauen ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner weder arbeiten noch sich weiterbilden dürfen. Zudem macht es der neue Erlass für Mütter schwerer, im Falle einer Scheidung das Sorgerecht für gemeinsame Kinder zu bekommen.
Empörung bei Menschenrechtlern
"Die afghanische Regierung bricht mit dem Gesetz Versprechungen über die Einhaltung von Menschenrechten, die sie der internationalen Staatengemeinschaft gemacht hat", sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günther Nooke, dem "Spiegel". Er forderte sogar Kürzungen bei der Entwicklungshilfe, um Druck auf Kabul auszuüben.
Das Gesetz sei ein "weiterer, klarer Hinweis" darauf, dass sich die Lage der Menschenrechte in Afghanistan nicht verbessere, sondern schlechter werde, kritisierte UN-Menschenrechtskommissarin Pillay. Es erinnere an die Anordnungen aus Zeiten des Taliban-Regimes.
Auch die französische Menschenrechtsstaatssekretärin Rama Yade reagierte entsetzt auf das Familiengesetz, das ihrer Ansicht nach sexuelle Gewalt in der Ehe zulässt. Der Erlass erinnere an die "dunkelsten Stunden der afghanischen Geschichte", erklärte Yade. Er zwinge afghanische Frauen, ihren Ehemännern sexuell hörig zu sein. Auch Großbritannien kritisierte das Gesetz. In Afghanistan wurde es von den Abgeordneten am Freitag verteidigt.
Einflussreiche schiitische Geistliche hatten das Gesetz unterstützt. Die Regierung argumentiert, das Gesetz biete schiitischen Frauen mehr Schutz als bislang. Kritiker warfen Karsai dagegen vor, sich vor der Präsidentschaftswahl im August die Stimmen fundamentalistischer Schiiten sichern zu wollen. Soraya Sobhrang von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission sagte der BBC, die neue Rechtsprechung sei "katastrophal für Frauenrechte in Afghanistan". Das Gesetz rechtfertige Gewalt gegen Frauen, die alle in der Verfassung garantierten Freiheiten verlören. Ein Ehegesetz für die sunnitische Bevölkerungsmehrheit ist ebenfalls geplant.
Quelle: ntv.de