Fortschrittskosten selber tragen? Neues zur Gesundheitsreform
02.04.2006, 17:31 UhrUnion und SPD treten bei der Suche nach einem Kompromiss für die Gesundheitsreform weiter auf der Stelle: Neue Überlegungen in der CDU/CSU für eine Art "kleiner Gesundheitsprämie" stießen bei der SPD auf Ablehnung. Nach einem Zeitungsbericht will die Union durchsetzen, dass gesetzlich Krankenversicherte künftig die steigenden Kosten des medizinischen Fortschritts praktisch allein tragen. SPD-Fraktionschef Peter Struck wies dies am Sonntag zurück.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sieht die Große Koalition bei der Reform unter Einigungsdruck. "In Deutschland ist schon alles diskutiert. Wir müssen jetzt politisch entscheiden", sagte sie der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" am Sonntagabend. Schmidt bestätigte die Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass der medizinische Fortschritt zu weiteren Kostensteigerungen im Gesundheitswesen führen werde. "Wir stehen gerade in der Krebstherapie wirklich vor einem Durchbruch. Das wird teurer."
Die Union will nach einem Bericht der "Bild am Sonntag", dass die Arbeitgeber 6,5 Prozent ihrer Lohnsumme an einen Fonds abführen. Die Abgabe werde bei diesem Wert dauerhaft eingefroren. Alle gesetzlich Versicherten sollen dem Unionskonzept zufolge 7,5 Prozent ihres steuerpflichtigen Einkommens an den Gesundheitsfonds zahlen. Dabei würden auch Einkünfte aus Zinsen und Mieten für die Krankenbeiträge herangezogen. Die Beitragsbemessungsgrenze bliebe erhalten. Für manche Arbeitgeber werde es aber teurer, da die 6,5 Prozent auch für den Lohn oberhalb der Bemessungsgrenze (derzeit 3562,50 Euro monatlich) zu bezahlen seien.
Struck sagte vor einem Treffen des geschäftsführenden Fraktionsvorstandes in Berlin, bei den Reform-Gesprächen mit der Union – sie werden an diesem Mittwoch fortgesetzt – gebe es noch keine Festlegungen auf ein bestimmtes Modell. Die Beratungen würden "in aller Ruhe" geführt. In einem dpa-Gespräch versicherte er: "Beide Seiten werden die ideologischen Scheuklappen ablegen und eine kreative Lösung vorlegen." Das Zustandekommen einer vernünftigen Reform sei entscheidend für die Tragfähigkeit des Regierungsbündnisses.
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) warnte vor einem Scheitern der Reform. "Wenn die Koalition in gefährliches Fahrwasser kommt, dann in der Gesundheitspolitik", sagte er der "Bild am Sonntag".
Der Gesundheitsfonds soll dem Bericht zufolge dann die Einnahmen, geteilt durch die rund 70 Millionen Versicherten, als Pro-Kopfbetrag an die Krankenkassen auszahlen. Falls eine Krankenkasse mit dem Geld nicht auskäme, müsste sie weiteres Geld bei den Versicherten eintreiben. Besonders die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) mit vielen Rentnern und chronisch Kranken kämen dadurch in Schwierigkeiten, schreibt die Zeitung.
Das Konzept ähnelt einem Mischmodell aus Bürgerversicherung und Kopfpauschale, das angeblich auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) verfolgt. Das Ministerium hatte entsprechende Medienberichte jedoch als "im Wesentlichen falsch" zurückgewiesen.
Die SPD wird auch nach den Worten von Vorstandsmitglied Niels Annen keinen Pauschalbeitrag der Versicherten akzeptieren. "Die Höhe der Kopfpauschale spielt keine Rolle", sagte Annen dem Handelsblatt (Montag). "Das wäre ein Systembruch und eine Vorentscheidung für eine spätere Gesundheitsprämie", sagte er.
Der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler, warb für die Einführung einer steuerfinanzierten Kinderpauschale. "Das wäre ein starkes familienpolitisches Signal und deckt sich außerdem mit einer Aussage im Regierungsprogramm der CDU", sagte er der "Sächsischen Zeitung" (Montag). Das Problem der gesetzlichen Krankenversicherung sei, dass die Beitragseinnahmen den Ausgaben hinterher hinkten. "In diesem Jahr rechnen wir mit einem Einnahmerückgang um 0,3 Prozent, während die Ausgaben um 2,9 Prozent steigen."
Quelle: ntv.de