Politik

Grüne ohne Gegenstimme "New Deal" beschlossen

Die Grünen setzen im Wahlkampf auf einen ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Auf ihrem Parteitag in Berlin beschlossen sie am Samstagabend einstimmig und ohne Enthaltungen ihr Bundestagswahlprogramm. Herzstück ist ein "Grüner New Deal" mit Investitionen in Zukunftsbereichen, um Wirtschafts- und Klimakrise gleichzeitig zu bekämpfen und dabei eine Million neuer Jobs zu schaffen.

Die neuen Arbeitsplätze sollen nach den Vorstellungen der Grünen durch Investitionen vor allem in Klimaschutz, Bildung und im Sozialbereich entstehen. Die Kosten beziffern die Grünen auf 80 Milliarden Euro in vier Jahren. Im Gegenzug sind ein höherer Spitzensteuersatz und eine Vermögensabgabe für Reiche geplant.

"Liebe Frau Merkel, ganz langsam und zum mitschreiben", sagte der Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl, Jürgen Trittin, in seiner Rede: "Profitgier vernichtet Jobs, kurzfristige Managerboni vernichten Jobs, unregulierte Banken und deregulierte Märkte vernichten Jobs (...). Aber Klimaschutz, Frau Merkel, Klimaschutz schafft Jobs!"

Mit dem Begriff "New Deal" lehnen sich die Grünen an US-Präsident Franklin D. Roosevelt an, der mit diesem Schlagwort seine vielfältigen Reformen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre beschrieben hatte.

Hartz IV soll erhöht werden

Mit seinen sozialpolitischen Forderungen ging der Parteitag in mehreren Punkten deutlich über den Programmentwurf der Parteispitze hinaus. So soll das Arbeitslosengeld II nicht nur auf 420 Euro erhöht, sondern zugleich die Anrechnung von Partnereinkommen abgeschafft werden. Für alle Kinder soll eine eigenständige Kindergrundsicherung in Höhe des Existenzminimums eingeführt werden.

Eine Bürgerversicherung soll es nicht nur für Gesundheit, sondern langfristig auch für die Rente geben. Dabei sollen nicht nur Erwerbseinkommen in die Beitragsberechnung einfließen, sondern alle Einkünfte. Praxisgebühren für Arztbesuche und Zuzahlungen für Medikamente sollen entfallen.

Die Festlegung auf einen Mindeststundenlohn von 7,50 Euro fiel mit 305 zu 300 Stimmen denkbar knapp aus. Die Parteispitze hatte mit dem Verzicht auf eine konkrete Zahl einen Wettlauf mit der Linkspartei verhindern wollen. Datenschutz und Klimaschutz wollen die Grünen als Staatsziele ins Grundgesetz aufnehmen. Das Wahlalter soll auf 16 Jahre sinken. Die Grünen wollen zudem 500.000 neue Studienplätze schaffen. Studenten-Bafög und Studiengebühren sollen abgeschafft werden. Alle Studenten sollen 200 Euro monatlich erhalten. "Das ist der Einstieg in die elternunabhängige Studienfinanzierung", sagte Hochschulexperte Kai Gehring.

Jamaika ausgeschlossen

Trittin rief seine Partei auf, für eine grüne Regierungsbeteiligung zu kämpfen. "Aus der Krise hilft nur Grün. Daher muss dieses Land wieder grün regiert werden", rief er den 860 Delegierten zu. Er forderte eine "Koalition der ökologischen Modernisierung", ging aber nicht auf die Debatte über mögliche Koalitionspartner der Grünen ein. Dieses Thema wird am Sonntag behandelt.

Dann wollen die Grünen ihren Bundesparteitag mit einem "Wahlaufruf" abschließen, in dem sie ihre Ziele für die Bundestagswahl formulieren. Neben Schwarz-Gelb und einer Neuauflage der Großen Koalition erteilen die Grünen im Textentwurf der Parteispitze auch einem Jamaika-Bündnis mit CDU/CSU und FDP eine Absage. Eine Koalitionsaussage gibt es nicht. Lediglich der Hinweis, bei aller Kritik an der SPD "sind die Überschneidungen mit der Sozialdemokratie im Vergleich immer noch am größten", findet sich im "Wahlaufruf".

"Das ist lebensgefährlich"

"Probleme von heute kann man nicht lösen mit der Denkweise von gestern", zitierte Ko-Spitzenkandidatin Renate Künast den Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein. Sie warf der Bundeskanzlerin eine Verwässerung klimapolitischer Beschlüsse der EU und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sein Eintreten für Kohlekraftwerke vor. Die Abwrackprämie sei "der Unsinn des 21. Jahrhunderts". Wer gute Klimapolitik wolle, müsse daher grün wählen, "weil wir die einzig Verlässlichen sind".

Auf jeden Fall gelte es, eine Mehrheit von Union und FDP zu verhindern. "Schwarz-gelbe Mehrheiten darf es nicht geben, das ist lebensgefährlich", sagte Künast mit Blick auf Union und FDP, die den Ausstieg aus der Atomenergie aufbrechen wollen.

Lob von Schwan

Die Bundespräsidenten-Kandidatin Gesine Schwan warb mit einem großen Lob für das Grünen-Wahlprogramm um die Stimmen der Partei. "Ich teile Eure Absichten ganz und gar", sagte das SPD-Mitglied auf dem Grünen-Parteitag mit Blick auf den "New Deal". Sie selbst habe immer wieder von der Notwendigkeit eines solchen neuen gesellschaftlichen Grundkonsenses gesprochen. Wiederholt wurde Schwan vom Applaus der Delegierten unterbrochen.

Schwan betonte, ein solcher Gesellschaftsvertrag lasse sich aber nicht einfach der Bevölkerung überstülpen. Die 1241 Änderungsantrage zeigten jedoch, wie ernsthaft sich die Partei damit auseinandersetze. In Bezug auf die Debattierfreude der Grünen und ihre Vorschläge für Auswege aus Wirtschafts- und Klimakrise sagte Schwan: "Deswegen tut ihr diesem Land sehr gut." Besonderen Applaus erntete Schwan für die Aussage, dass die Grünen ihres Wissens nach die einzige Partei seien, die - wie sie selbst auch - verlange, die Ursachen der Krise öffentlich aufzuarbeiten.

Quelle: ntv.de, AFP / dpa / rts

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