Viele Zahlen, keine Quellen Nichts Brauchbares bei Twitter
27.09.2009, 20:41 UhrDie Internet-Gemeinde läuft sich früh warm. Schon am Sonntagmorgen veröffentlichen Witzbolde ihre Zahlen zum Ausgang der Bundestagswahl beim Kurzbotschaften-Portal Twitter. Meist hat dabei die bei den Internet-Nutzern beliebte Piratenpartei zweistellige Resultate. Doch am Sonntagnachmittag hat der Spaß ein Ende: Zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale tauchen die ersten Zahlen auf, die sich einen seriösen Anstrich geben und behaupten, sie hätten die echten Prognosen der Meinungsforscher vorab.
Schon bei der Wahl des Bundespräsidenten und bei den jüngsten Landtagswahlen hatten Twitter-Nutzer das Ergebnis beziehungsweise die Prognosen vorher ausgeplaudert. Die Spannung in der Gemeinde der Twitterer war groß, ob es auch diesmal wieder passieren würde - obwohl oder gerade weil dem, der dies tut, eine Strafe von bis zu 50.000 Euro droht. Im Extremfall könnte die Wahl angefochten werden, weil die Vorab-Verkündung von Ergebnisprognosen die Wahl beeinflussen könnte.

(Foto: picture-alliance/ dpa)
Kurz nach 16.00 Uhr ist es ein Mann aus dem niederbayerischen Osterhofen, der sich meldet und behauptet, die richtige Prognose zu haben. Wenig später meldet der Stadtverband der FDP im nordrhein-westfälischen Unna, er habe die Prognose aus Berlin erfahren. Der FDP-Eintrag sorgt für Unruhe im Netz. Am Nachmittag wird die Prognose an die Parteien in Berlin herausgegeben, damit diese sich auf den Ausgang vorbereiten können. Die Zahlen könnten bis nach Unna gedrungen sein.
Der FDP-Vorsitzende in Unna, Martin Bick, aber ist überhaupt nicht im Bilde. "Von unserem Stadtverband twittert meines Wissens niemand", sagt er auf Anfrage. "Wir haben hier die Zahlen der Prognosen auch nicht." Ob tatsächlich ein Internet-Nutzer unter falschem FDP-Zugang getwittert hat, müssen die Mitarbeiter des Bundeswahlleiters herausfinden. "Wir haben ein spezielles Team, das parallel zum Geschehen die Einträge überprüft", sagt der Sprecher des Bundeswahlleiters.
Gegen 16.30 Uhr taucht ein Eintrag nach dem anderen auf, der sich auf Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap beruft. Doch obwohl die Quelle gleich ist, entsteht ein einziger Zahlensalat. Fast jeder Twitterer hat andere Infratest-Zahlen. Manche liegen sehr nah bei dem, was um 18.00 Uhr tatsächlich auf den Fernsehschirmen auftaucht - andere liegen himmelweit daneben. Viel Arbeit für den Bundeswahlleiter, die sich bis in die Woche hineinziehen wird.
Experten sind derweil gespalten, was von der Vorab-Veröffentlichung der Prognosen im Internet zu halten ist. "Man muss energisch gegen die Personen vorgehen, die tatsächliche Ergebnisse bekanntgegeben haben", sagt der Verfassungsrechtler Jörg Ipsen von der Universität Osnabrück. "Sonst ist die Freiheit und Geheimheit der Wahl in Gefahr." Die Medien-Wissenschaftlerin Margreth Lünenborg von der Freien Universität in Berlin ist anderer Ansicht. "Ich glaube, die Tür ist nicht mehr zuzumachen", sagt sie. "Ich denke, die Wähler sind mündig genug, um mit den Vorab-Ergebnissen umzugehen."
Die Twitter-Nutzer selbst jedenfalls sind eher enttäuscht darüber, dass im Zahlensalat keine Prognose zu finden war, auf die sie sich verlassen konnten. Und so übernehmen die Spaßvögel, die sich als solche zu erkennen geben, kurz vor Schließung der Wahllokale schon wieder das Regiment. Ein Nutzer mit dem Kürzel "twalthr" denkt schon vor 18.00 Uhr über den Wahltag hinaus und schreibt: "Meine Prognose für meine Arbeitsmoral nächste Woche: Mo 55%, Di 23,5%, Mi 10%, Do 7%, Fr 4,5%."
Quelle: ntv.de, AFP