"Alles fällt auseinander" Nordkorea schockt sogar russische Touristen


Russland und Nordkorea rücken näher zusammen. Davon zeugen nicht nur Raketenlieferungen aus Pjöngjang. Auch die ersten Touristen, die Nordkorea nach der Pandemie besuchen dürfen, kommen aus Russland. Doch eine Propagandareise hinterlässt einen bitteren Beigeschmack bei den Urlaubern.
Die Beziehungen Moskaus und Pjöngjangs sind so gut wie lange nicht. Der Grund ist der Krieg in der Ukraine. Russland benötigt für die Invasion Munition, die es selbst nicht ausreichend herstellen kann. Zudem fehlen aufgrund westlicher Sanktionen Bauteile. Nordkorea kann Munition liefern, darunter auch Raketen. Das streng isolierte und ebenfalls sanktionierte Land darf sich dafür über einen politischen Unterstützer und Hilfe etwa für das eigene Atom- und Satellitenprogramm freuen.
Um die neue Freundschaft zu besiegeln, reiste Russlands Machthaber Wladimir Putin im vergangenen September in den Fernen Osten seines Landes, wo er Nordkoreas Diktator Kim Jong Un empfing. Als Sahnehäubchen bekam Kim noch ein Luxusauto von Putin geschenkt. Derweil werden mit Raketen aus Pjöngjang (inklusiver westlicher Bauteile) ukrainische Städte bombardiert.
Putins Kuschelkurs soll aber offenbar nicht auf die militärische und technologische Kooperation beschränkt bleiben. Ein Beispiel ist die Reise russischer Touristen ins Nachbarland. Da aufgrund des Überfalls auf die Ukraine für die meisten Russen etliche westliche Orte als Reiseziele ausfallen, will Nordkorea in die Bresche springen und sich als touristisches Traumland präsentieren.
Die knapp 100 Russinnen und Russen, die am 9. Februar von Wladiwostok aus nach Pjöngjang flogen, waren die ersten Touristen, die Nordkorea seit der Pandemie, in der es seine Grenzen abriegelte, ins Land ließ. Vor 2020 gab es jährlich mehrere Tausend Touristen auch aus westlichen Ländern, die Nordkorea überwiegend aus Neugier besuchten. Die russische Reisegruppe war ebenfalls nicht nur auf der Suche nach Erholung: Unter den Teilnehmern waren Journalisten und Vertreter der Reisebranche sowie Blogger und Influencer, die wohl vor allem schöne Bilder aus der Diktatur verbreiten und die Werbetrommel rühren sollten. So richtig geklappt hat das aber nicht.
"Es ist surreal"
Vier Tage dauerte der Trip laut der Reiseagentur Wostok Intur, die ihn organisierte. Laut dem britischen Sender Sky News kosteten Tickets umgerechnet etwa 690 Euro. "Das Wetter ist im Moment großartig. Es ist die beste Zeit für einen Winterurlaub", schrieb die russische Botschaft in Pjöngjang zur Begrüßung auf Facebook und wünschte "gute Laune und unvergessliche Eindrücke". Die bekamen die Urlauber tatsächlich - manche berichteten schon aus dem Flieger von Air Koryo, der einzigen nordkoreanischen Airline. "Das Flugzeug ist alt und riecht nach Mottenkugeln", zitiert Sky News einen der Touristen. Andere berichteten demnach von technischen Mängeln an der 41 Jahre alten Maschine. "Alles fällt auseinander", heißt es da.
In Pjöngjang angekommen besuchten die Touristen nicht nur die Statuen des Staatsgründers Kim Il-Sung und seines Sohnes Kim Jong Il - ein Pflichttermin für Besucher -, sondern auch das Monument der Juche-Ideologie und eine Veranstaltung von Schülern mit Akkordeonmusik.
Untergebracht waren sie im Yanggakdo International Hotel, dessen Gelände sie jedoch nicht eigenständig verlassen durften. Die Begründung: "Sie beherrschen die koreanische Sprache nicht und könnten Probleme bekommen", wie Reiseblogger Ilya Voskresensky Radio Free Asia erzählte, einem von der US-Regierung finanzierten Sender.
Voskresensky, der auf Instagram seine Reise dokumentiert hat, berichtet noch von weiteren Einschränkungen: Schon im Flugzeug, als sie noch in Russland waren, seien bei einem Touristen unliebsame Bilder vom Handy gelöscht worden. Im Land durften demnach Baustellen und verfallene Gebäude nicht fotografiert werden, sondern nur pittoreske, schöne Ansichten. Zudem habe man sich nicht frei bewegen dürfen. "Wir hatten keine Gelegenheit, mit den einfachen Menschen in Nordkorea zu sprechen", sagte er.
Ohnehin habe es selbst zu Stoßzeiten nur wenige Menschen und Autos auf den Straßen gegeben, was ihn schockiert habe. "Manchmal sah man doch Menschen, und erstaunlicherweise sahen sie alle gleich aus", sagte er mit Verweis auf deren Kleidung. CNN sagte er, es habe sich "wie eine Reise in die Vergangenheit" angefühlt. Die leeren Straßen und die fehlende Werbung hätten ihn an die Geschichten seiner Großeltern aus der Sowjetunion erinnert. "Es ist surreal."
Eigenes Ressort für Russen geplant
Das Skigebiet Masikryong, das die Gruppe nach einer Nacht in der Hauptstadt besuchte, kam offenbar besser an. Das 2014 eröffnete Ressort nahe der Stadt Wonsan im Osten der Halbinsel ist das einzige seiner Art in dem Land und wurde auf Anweisung von Kim Jong Un errichtet, um vor allem Touristen aus China anzulocken. Dabei wurde auch westliche Technik verbaut, die offenbar an den Sanktionen vorbeigeschmuggelt wurde.
Zwar war die Reisegruppe hier weitgehend unter sich, weil andere Touristen nicht ins Land kommen und ein Besuch für die meisten Nordkoreaner unerschwinglich sein dürfte. Doch ihre Bewacher waren ihnen auf den Fersen: Voskresensky zeigt in einem Video einen Mann, der hinter ihm Ski fährt, und schreibt dazu: "Das ist unsere persönliche Eskorte und keine Paranoia." Immerhin gab es hier ihm zufolge keinerlei Einschränkungen bei Foto- und Filmaufnahmen.
Das dürfte auch der Plan Nordkoreas sein: russische Touristen sollen keinesfalls das Land erkunden oder Einheimische treffen. Viel besser wäre es, sie blieben in einem abgeriegelten Ressort unter sich. Das investigative Portal The Insider berichtet entsprechend unter Berufung auf eine russische Regionalbehörde an der Grenze zu Nordkorea, dass bereits eine eigene Urlaubsanlage für russische Touristen geplant ist. Auf 2,8 Quadratkilometern will Pjöngjang demnach an der Ostküste 17 Hotels, 37 Gästehäuser, Geschäfte und einen vier Kilometer langen Strand bauen. Dazu passt, was eine Chefin einer russischen Tourismusagentur zu Euronews sagte: "Manche Menschen träumen davon, Nordkorea zu besuchen. Nordkorea ist ein erstaunliches Land." Auch das russische Staatsfernsehen berichtete begeistert von dem Reiseziel. Urlaub dort ist offenbar im Interesse beider Regierungen.
"Koreanische Küche nicht gesehen"
Die Bilanz einiger Teilnehmer der Reisegruppe fällt dagegen mehr als durchwachsen aus. Voskresensky etwa zeigte sich nicht nur geschockt von den verlassenen Straßen, sondern auch abgeschreckt von der allgegenwärtigen Propaganda. "Es ist schockierend, wie der Personenkult alle Grenzen überschritten hat", sagte er. Zudem bemängelte er das Fehlen koreanischer Kultur und Küche. "Koreanische Küche habe ich in Nordkorea nicht gesehen", sagte er. "Ich habe das Gefühl, dass sie diese Kultur aufgrund der jahrelangen Armut und der 'kommunistischen Gleichheit' verloren haben."
Die Organisation der Reise sowie die permanente Beobachtung stieß auch anderen Teilnehmern bitter auf: "Die akribischen Vorbereitungen für unseren Besuch fühlten sich an wie eine Theateraufführung", sagte Elena Bychkova zu CNN. "Inmitten der choreografierten Szenen wurde ich das Gefühl nicht los, dass Nordkorea auch eine andere Seite hat, eine, die verborgen bleibt."
Yulia Meshkova schrieb nach der Reise: "Ich werde aus moralischen und ethischen Gründen nicht mehr hinfahren", auch wenn sie das besuchte Skigebiet sehr lobt. In einem anderen Post beschreibt sie Nordkorea als "totalitäre Diktatur". Das Land habe keinen touristischen Wert. "Natürlich ist es eine Reise wert. Um seine Dosis an Überraschungen zu bekommen, um mit den verängstigten Koreanern mitzufühlen und um den Kontrast zu ihren südlichen Nachbarn zu genießen", schrieb sie auf Instagram. Sie persönlich habe sich unwohl gefühlt, trotz der im Allgemeinen fröhlichen Reise.
Quelle: ntv.de