Postsowjetische Tragödie in Kirgisistan Opposition stellt "Volksregierung"
08.04.2010, 08:01 Uhr
Nach den gewaltsamen Protesten gegen die Regierung in Kirgisistan kontrolliert die Opposition nach eigenen Angaben den größten Teil des Landes. Nur im Süden sei die Macht noch nicht in den Händen der Übergangsregierung. Dort soll sich Präsident Bakijew aufhalten.
Nach dem blutigen Machtkampf mit Dutzenden Toten in der zentralasiatischen Republik Kirgisistan hat die Opposition die Hauptstadt Bischkek unter ihre Kontrolle gebracht. Parlament, Regierungssitz, Polizei und Medien sowie der Flughafen würden nun von den Gegnern des autoritären Präsidenten Kurmanbek Bakijew geführt. Das meldete die kirgisische Agentur Akipress.
Die Opposition hatte am Vorabend den Sturz der Führung in Bischkek verkündet und eine Übergangsregierung unter Leitung der früheren Außenministerin Rosa Otunbajewa gebildet. Bakijew soll auf der Flucht sein und sich im Süden des Landes in Osch aufhalten. Die weitere Nachrichtenlage ist unklar. Einige Medien berichten, Bakijew sei bereits zurückgetreten, andere sprechen davon, der Präsident versammle seien Getreuen um um sich.
100 Tote und 500 Verletzte
Nach Angaben der Opposition stabilisiert sich die Lage. Oppositionsführer Omurbek Tekebajew sprach im Fernsehen erneut von etwa 100 Toten bei den Unruhen am Vortag in Bischkek. Das Gesundheitsministerium bestätigte zunächst 65 Todesfälle. Insgesamt seien bei den gewaltsamen Ausschreitungen im Norden der Ex-Sowjetrepublik an der Grenze zu China mehr als 500 Menschen verletzt worden. Allein in Bischkek habe es 40 schwere Brände gegeben. Bakijews Gegner hatten Regierungsgebäude und Fahrzeuge mit Brandsätzen angezündet.
Kirgisische Medien berichteten von schweren Plünderungen in Geschäften, Unternehmen und Museen. Die von der Opposition ernannte neue Regierungschefin Otunbajewa schrieb in einem Twitter-Eintrag, dass zunächst Bürgerpatrouillen eingerichtet werden sollen. Die 59-Jährige hatte bereits die Tulpenrevolution vor fünf Jahren angeführt, als Bakijew an die Macht kam. Otunbajewa war im Streit um die Ausrichtung des Landes aber zur Opposition übergetreten. Sie kündigte an, dass die Übergangsregierung zunächst sechs Monate arbeiten wolle, um eine neue Verfassung zu erarbeiten.
Die am Dienstag begonnenen Massenproteste gegen Bakijew in Talas und dann auch in anderen Orten waren blitzschnell in gewaltsame Ausschreitungen zwischen Polizei und Regierungsgegnern umgeschlagen. Die Proteststimmung im Land ist wegen der bitteren Armut nach Einschätzung von Beobachtern extrem hoch.
US-Route nach Afghanistan gefährdet
Der Aufstand in Kirgisistan beunruhigt das US-Militär, das in der ehemaligen Sowjetrepublik einen für den Afghanistan-Einsatz wichtigen Stützpunkt unterhält. Wie die "New York Times" berichtete, hatte US-Präsident Barack Obama den nun gestürzten Staatschef Bakijew lange umworben, bis dieser die weitere Nutzung des Luftwaffenstützpunkts Manas nahe der Hauptstadt Bischkek zuließ. Bakijew hatte den Vertrag für die Basis im vergangenen Jahr erst gekündigt, dann aber gegen deutlich mehr Geld doch wieder in Kraft setzen lassen.
Die Opposition in Kirgistan sowie auch Russland hatten sich dem Bericht zufolge dagegen gewandt, den USA einen Stützpunkt zu überlassen. Laut "New York Times" hatten Oppositionsführer kritisiert, es sei beschämend für die USA, auf der einen Seite für die Demokratie einzutreten, andererseits aber einen autoritären Präsidenten zu umwerben. Die damaligen Oppositionellen stellen nun wahrscheinlich die neue Regierung, womit die Zukunft des Stützpunkts in der Schwebe ist. Zudem hatten die USA kirgisischen Medien zufolge einen Ausbau ihrer seit 2001 bestehenden Präsenz geplant.
Quelle: ntv.de, dpa