Politik

Ungarn bekommt ein neues Gesicht Orbans rechter Kreuzzug

Viktor Orban gestaltet Ungarn nach seinen Vorstellungen um.

Viktor Orban gestaltet Ungarn nach seinen Vorstellungen um.

(Foto: REUTERS)

Schritt für Schritt gestaltet Ungarns Premier Orban nach Gutdünken sein Land um. Die rechtsgerichtete, nationalistische Agenda rückt das Land in Richtung Fidesz-Diktatur. Die EU will das Schlimmste verhindern, doch die Einmischung kommt wohl viel zu spät.

"Derzeit wird nicht einfach nur regiert", sagt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. "Es findet der Abschluss des Post-Kommunismus statt." Es beginne eine neue Ära, ein neues System. Es sind Worte wie diese aus dem Munde des Regierungschefs, die die Sorgen um die Zukunft des EU-Mitglieds verstärken.

Doch während in der Europäischen Union die Kritik am schleichenden Demokratieabbau in Ungarn wächst, zementiert der rechtsgerichtete Premier seine "System-Wende". Daran können selbst die von der EU eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren im Kern nichts ändern – zu tiefgreifend und zu umfangreich ist die Umgestaltung Ungarns.

Neue Verfassung

Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2010 erhielt die rechtsgerichtete Partei Fidesz 53 Prozent der Stimmen und löste damit die Sozialisten an der Regierung ab. Wegen des Zuschnitts der Wahlkreise kam die Partei Orbans allerdings auf 68 Prozent der Sitze und erhielt damit die nötige Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung zu ändern. Das tat sie dann auch – ohne mit der Opposition zu reden, ohne öffentliche Diskussion und ohne Volksabstimmung. Orban sieht sich zwar durch den Wahlsieg legitimiert, allerdings erhält die Fidesz in aktuellen Umfragen derzeit eine Zustimmung von lediglich 16 Prozent. Doch darauf nimmt der Premier keine Rücksicht und nutzt die Gelegenheit, um Ungarn nach seinen nationalistischen, rechtsgerichteten Vorstellungen umzugestalten.

Die neue Verfassung trat zum 1. Januar 2012 in Kraft. Zusammen mit vielen Zusätzen und zahlreichen Gesetzen gibt sie der Regierung nicht nur Zugriff auf Justiz, Zentralbank und Medien. Auch auf Wahlkommission, Datenschutz, Rechnungshof und Kultur kann die Regierung künftig großen Einfluss nehmen. Zudem sind etliche Bereiche des Haushalts- und Steuerrechts in Verfassungsrang erhoben worden – beispielsweise eine Einheitssteuer von 16 Prozent – und können so in Zukunft wohl nur mit Zustimmung der jetzt Regierenden geändert werden. Das alles zementiert Macht und Einfluss der Fidesz – auch über künftige Parlamentswahlen hinaus – und schränkt den Spielraum neuer Regierungen massiv ein.

Zugriff auf die Justiz

Sichtbar sind die Auswirkungen vor allem in der Justiz. Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ist nicht mehr gewährleistet, denn die Regierung erhält starken Einfluss. Das gelang ihr zunächst dadurch, dass sie die Anzahl der Richter erhöhte und die Posten mit regierungstreuen Juristen besetzte. Danach wurde der Präsident des Verfassungsgerichts sein Amt los und durch einen Fidesz-Getreuen ersetzt.

Viktor Orban
  • Geboren 1963
  • Studium der Rechtswissenschaften in Budapest und Oxford
  • 1988 Mitgründer der Fidesz ("Bund Junger Demokraten")
  • 1993 -2000 und seit 2003 erneut Parteivorsitzender der Fidesz
  • Seit Mai 2010 Ministerpräsident Ungarns

Auch die normale Gerichtsbarkeit erfährt massive Veränderungen. Die Regierung wird viele unliebsame Richter los und hat künftig großen Einfluss auf die Rechtsprechung. Um das zu erreichen, wurde das Rentenalter der Richter von 70 auf 62 Jahre gesenkt. Dadurch stehen nun fast 280 Richter vor der Pensionierung, darunter zahlreiche Gerichtspräsidenten. Die neuen Richter werden vom Parlament – also von der Fidesz – bestimmt. Dass der Schritt politisch motiviert ist, wird unter anderem dadurch deutlich, dass das Rentenalter in zwei Jahren wieder schrittweise erhöht wird.

Um den Einfluss der Fidesz auf die derzeitigen und künftigen Richter sicherzustellen, schuf Orban eine neue Behörde. Dem sogenannten Landesgerichtsamt steht die bisherige Präsidentin des Budapester Arbeitsgerichts, Tünde Hando, vor. Die auf neun Jahre berufene Leiterin entscheidet nicht nur allein über jede Richter-Ernennung in Ungarn, sondern auch über die Zuweisung von Fällen an die jeweiligen Gerichte. Außerdem darf sie jeden Richter versetzen. Hando ist Ehefrau eines der Fidesz-Gründer und gilt als enge Vertraute von Orbans Frau.

Nicht nur Hando, sondern auch der Oberste Staatsanwalt sind Gefolgsleute Orbans. Sie behalten selbst nach Ablauf des Mandats ihr Amt, wenn es im Parlament keine Zweidrittelmehrheit für einen Nachfolger gibt. Auch damit wird die Macht der Fidesz auf Jahre hinaus gesichert – denn selbst als Oppositionspartei kann sie unliebsame Kandidaten verhindern.

Notenbankchef Andras Simor versucht, Orban Paroli zu bieten.

Notenbankchef Andras Simor versucht, Orban Paroli zu bieten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wegen einiger dieser Schritte hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Orban versprach, sich zügig mit der Kritik zu befassen. Doch konkrete Maßnahmen kündigte er nicht an. Und je mehr Zeit vergeht, umso stärker ändert sich das Gesicht der Justiz.

Zentralbank als Zankapfel

Ein weiterer Streitpunkt zwischen Brüssel und Budapest ist die Zentralbank des Landes. Orban will Einfluss auf die Notenbank bekommen, indem die Kompetenzen des Notenbank-Gouverneurs beschnitten werden und ein weiter Stellvertreter installiert wird. Die Regierung liegt seit längerem im Clinch mit Notenbankchef Andras Simor, der jüngst eine weitere Zinserhöhung gegen den Widerstand Orbans durchsetzte.

Die Regierung lenkte hier auf Druck der EU zwar ein. Doch wie weit die Zugeständnisse gehen, ist unklar. Der Grund für Orbans Kurswechsel: Das von der Pleite bedrohte Land ist dringend auf einen Milliardenkredit von EU und Internationalem Währungsfonds angewiesen – und beide Institutionen machen die Unabhängigkeit der ungarischen Notenbank zur Bedingung.

Selbst wenn die finanziellen Daumenschrauben den Premier zu Zugeständnissen zwingen, an der dauerhaften, tiefen Transformation Ungarns ändert das nur wenig. Ein Beispiel: Der von Orban geschaffene Haushaltsrat kann gegen die Budgets künftiger Regierungen unter bestimmten Bedingungen ein Veto einlegen. Wie andere wichtige Amtsträger auch, bleiben die Mitglieder nach Ablauf ihres langjährigen Mandats auf ihrem Posten, sofern das Parlament nicht durch Zweidrittelmehrheit einen Nachfolger bestimmt.

Künftig muss der Haushalt bis zum 31. März eines Jahres vom Parlament verabschiedet werden. Das ist in diesem Zusammenhang von Belang, da der Staatspräsident andernfalls Neuwahlen anordnen darf. Daher ist folgendes Szenario vorstellbar: Der mit Fidesz-Getreuen besetzte Haushaltsrat legt sein Veto gegen den Haushalt einer neuen Regierung ein - und verhindert damit, dass er fristgemäß verabschiedet wird. Der seit 2010 amtierende Präsident Pal Schmitt, ein treuer Partner Orbans, wird dann Neuwahlen ausrufen – sofern er mit einem günstigeren Wahlergebnis für Fidesz rechnen kann.

Doch ob es so weit kommen muss, ist fraglich. Denn auch der Zuschnitt der Wahlkreise, der ohnehin die Fidesz bevorzugt, wurde verändert. Damit wird es für andere Parteien noch schwieriger, künftige Parlamentswahlen zu gewinnen. Einem ungarischen Think Tank zufolge hätte die Fidesz mit dem neuen Zusammenschnitts die drei vergangenen Wahlen gewonnen – also auch die beiden, die sie verloren hat. Kurz vor Weihnachten nahm das Parlament zudem ein neues Wahlgesetz an, das die Arbeit kleinerer Parteien erschwert.

Sozialisten als "Kriminelle"

Nicht nur für die kleinen Parteien wird es künftig schwerer. Über den beiden Parteien, die neben der Fidesz Parlamentswahlen gewinnen könnten, hängt ein Damoklesschwert. Denn in Ungarn können Parteien, die gegen die Verfassung verstoßen, verboten werden. Auf diese Weise kann sich die Fidesz aber nicht nur der Rechtsaußenpartei Jobbik entledigen, sondern neuerdings auch der vor Orban regierenden Sozialisten.

Das Parlament nahm kurz vor dem Jahreswechsel mit den Stimmen der Fidesz eine Gesetzesvorlage an, die die Sozialisten zur Rechtsnachfolgerin der einstigen kommunistischen Partei erklärt – und sie damit für die Verbrechen des Kommunismus verantwortlich macht. Der Text fand Eingang in die neue Verfassung. Dort werden die kommunistische Partei und ihre Nachfolger als "kriminelle Organisation" bezeichnet. Praktische Auswirkungen hat das vorerst zwar keine. Doch diese Verfassungsbestimmung kann dazu genutzt werden, die Sozialisten unter Druck zu setzen – oder zu verbieten.

Oppositionsradio verliert Frequenz

All das ist aber nur ein Teil der umfangreichen Maßnahmen Orbans. Ein vor knapp einem Jahr in Kraft getretenes, restriktives Mediengesetz gibt den Behörden weitreichende Überwachungsrechte und Sanktionsmöglichkeiten, die unliebsame Medien in den Ruin treiben können. Auf Druck der EU-Kommission und Ungarns Verfassungsgericht wurde das Gesetz nachgebessert, doch Zweifel an der Wahrung der Pressefreiheit bleiben. So wurde dem einzigen Oppositionsradio jüngst die Frequenz entzogen. Das kritische "Klubradio" muss im Frühjahr, zehn Jahre nach seiner Gründung, seinen Betrieb einstellen und weicht einem bislang unbekannten, kommerziellen Sender.

Doch nicht nur in der Medienlandschaft, auch in der Kulturpolitik nimmt die Regierung Orban einschneidende Weichenstellungen vor. So wechselt am Budapester Neuen Theater zum 1. Februar die Intendanz. Mit dem Schauspieler György Dörner übernimmt dann erstmals ein bekennender Rechtsextremist die Leitung eines ungarischen Theaters.

Die Transformation Ungarns im Sinne Orbans nimmt Schritt für Schritt Gestalt an. Der Verfassung ist ein "Nationales Glaubensbekenntnis" als Präambel vorangestellt, das einen starken Bezug zum Christentum und zum mittelalterlichen ungarischen Reich herstellt. Statt "Republik Ungarn" heißt das Land nun schlicht "Ungarn".

Die Einmischung der Europäischen Union kommt deshalb womöglich zu spät. Mit jedem Tag, der vergeht, schafft Orban vollendete Tatsachen und zementiert sein neues System.

Quelle: ntv.de, mit dpa/rts/AFP

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