Gejohle im Bundestag Peinlicher Merkel-Schnitzer
15.10.2008, 17:04 UhrDer frühere Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer hat nach heftiger Kritik auf den ihm von Bundeskanzlerin Angela Merkel angebotenen Vorsitz einer Expertengruppe zur Finanzkrise verzichtet. Das teilte Vizeregierungssprecher Thomas Steg in Berlin mit.
Die CDU-Chefin hatte am Morgen in ihrer Regierungserklärung im Bundestag angekündigt, Tietmeyer solle auf ihren Vorschlag hin den Vorsitz des Gremiums übernehmen, das Vorschläge der Bundesregierung für den geplanten Sondergipfel der G8-Staaten und wichtiger Schwellenländer erarbeiten soll. Dies war bei SPD und Opposition auf Empörung gestoßen; Gelächter, Gejohle und Buh-Rufe hallten durch das Plenum: Tietmeyer ist Mitglied des Aufsichtsrats des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE) – der DAX-Bank, der der Staat erst vor zwei Wochen mit einer Bürgschaft vom 23 Milliarden Euro der Überleben ermöglicht hatte. HRE-Aufsichtsrat Kurt Viermetz war zurückgetreten, nachdem dem Gremium vorgeworfen worden war, seine Aufsichtspflichten nicht hinreichend wahrgenommen zu haben.
Bock zum Gärtner gemacht
Begründet hatte Merkel ihre Entscheidung für Tietmeyer damit, dass der frühere Bundesbank-Chef über "erhebliche Erfahrungen" verfüge, vor allem bei der Verhandlung von Basel II. Darunter werden die seit Anfang vergangenen Jahres geltenden strengeren Eigenkapitalvorschriften für Banken in der EU verstanden, die die Vergabe risikoreicher Kredite verhindern sollen. Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider hatte daraufhin in der Debatte angekündigt, seine Fraktion werde diese Personalentscheidung nicht mittragen. "Da wird der Bock zum Gärtner gemacht", sagte Schneider.
Kritik an der Berufung Tietmeyers äußerten auch weitere SPD-Politiker sowie der Fraktionschef der Linken, Oskar Lafontaine. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sagte der "Financial Times Deutschland", er halte auch das Expertengremium selbst für überflüssig, da alle Vorschläge bereits auf dem Tisch lägen. Lafontaine erinnerte daran, dass Tietmeyer es 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos begrüßt habe, dass die Politik inzwischen der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte unterworfen sei. Auch Unionsparlamentarier fanden die Berufung Tietmeyers nicht gerade sensibel.
Merkel hatte keine Ahnung
Von der Tätigkeit Tietmeyers bei der HRE und vorher bei der heutigen Tochter, der irischen Depfa-Bank, wusste die Kanzlerin bei der Berufung nicht, wurde anschließend in ihrem Umfeld versichert. Im Bundestag wirkte Merkel, als der Protest anhob, echt überrascht. Ihre Berater hatten sie anscheinend nicht ausreichend informiert.
Tietmeyer erklärte nach der Entrüstung im Parlament in einem Telefonat eilig seinen Rückzug. Noch bevor Merkel in Richtung Brüssel zum EU-Gipfel abflog, war er als Kommissionschef Vergangenheit. Seinen Verzicht habe Tietmeyer damit begründet, "dass es eher eine Debatte um seine Person geben könnte als um die Aufgaben der Expertenkommission", sagte Steg.
Der Vizeregierungssprecher sagte weiter, über die Einsetzung des Expertengremiums bestehe in der Koalition Konsens. Angesichts der komplexen Materie sei es sinnvoll, externen Sachverstand hinzuzuziehen. Bis zum Wochenende solle nun die Besetzung des Gremiums bekanntgegeben werden. Zu Tietmeyer sagte Steg, dieser sei ein "bekannter und angesehener Fachmann im Bankenwesen".
Entscheidung bis zum Wochenende
Die Bundesregierung will nun bis zum Wochenende klären, wer die geplante Finanzexpertengruppe leiten soll. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, bis dahin werde eine Entscheidung über die Zusammensetzung des Beratergremiums mit nationalen und internationalen Experten fallen. Die Entscheidung über den Rückzug von Tietmeyer sei im Kanzleramt "mit Respekt" aufgenommen worden.
Quelle: ntv.de