Rolle rückwärts? Pendeln mit der Koalition
30.10.2007, 10:24 UhrMillionen Berufstätige können auf eine Rückkehr zur Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer auf dem Weg zur Arbeit hoffen, allerdings deutlich gekürzt. Nach ersten ablehnenden Reaktionen der Union auf derartige Überlegungen in der SPD zeigen sich CDU und CSU nun offener. Allerdings dürften die angespannten Staatsfinanzen dadurch nicht belastet werden, hieß es in der Unionsfraktion. Bei dem eingesparten Betrag von 2,5 Milliarden Euro durch den Wegfall der Subvention für Nahpendler müsse es bleiben. Deshalb sieht die Union den SPD-Finanzminister Peer Steinbrück jetzt in der Pflicht, Vorschläge zu unterbreiten.
Steinbrück aber reagiert zurückhaltend: Die Wiedereinführung einer Pendlerpauschale sei derzeit kein Thema innerhalb der Regierung. Die von Medien losgetretene Debatte laufe den Ereignissen voraus: Zunächst müsse man die für 2008 oder 2009 erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Das sehen viele in der SPD aber anders: Ende September loteten SPD-Parlamentarier und Ministeriumsvertreter Alternativen zur Pendlerpauschale aus. Die Mehrheit der Abgeordneten sprach sich dafür aus, das Urteil nicht abzuwarten und auch Nahpendler zu entlasten. Es müsse deutlich werden, dass die SPD "sich auf die Seite der Arbeitnehmer stellt".
Die Entfernungspauschale war zum Jahresbeginn abgeschafft und durch eine Härtefallregelung für Fernpendler ersetzt worden. Nur sie können weiter ab dem 21. Kilometer 30 Cent je Kilometer absetzen. Drei von fünf Finanzgerichten stützen die geänderte Rechtslage. Sie halten es für verfassungsgemäß, dass nur Fernpendler in den Genuss der Pauschale kommen. Der Bundesfinanzhof bezweifelt dagegen genau das und hat sich am 28. August in einem Aufsehen erregenden Beschluss der Rechtsauffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts angeschlossen, dass "bei summarischer Prüfung" die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung "ernstlich zweifelhaft" sei. Immerhin fährt von den rund 16 Millionen Pendlern nur die Hälfte weiter als 21 Kilometer.
Nun soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob Nahpendler benachteiligt sind. Bis dahin kann der Nahpendler zwar die alte Pauschale geltend machen, muss aber mit Nachforderungen rechnen, falls die Neuregelung mit dem Grundgesetz konform ist. Der DGB fordert wie die Autoindustrie und der ADAC die ungekürzte Pauschale zurück, ebenso die Opposition.
Angesichts der rechtlichen Unsicherheiten erwägen SPD-Politiker, die Pauschale wieder für alle Arbeitnehmer verfügbar zu machen. Dafür sollen aber ab 2008 nicht mehr 30 Cent, sondern maximal 20 bis 25 Cent gezahlt werden. Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Joachim Poß unterstrich, der Konsolidierungspfad solle nicht verlassen werden.
Union wartet auf Steinbrück und Karlsruhe
Als einer der ersten CDU-Politiker hat der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen den Vorstoß begrüßt. "In einem Flächenland wie Schleswig-Holstein sind sehr viele Menschen auf ihr Auto angewiesen, um zur Arbeit zu kommen", erklärte Carstensen in Kiel. "Wenn jetzt vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesfinanzhofes eine Änderung mit dem Ziel einer breiteren Entlastung gefordert wird, stehe ich diesen Überlegungen grundsätzlich positiv gegenüber", sagte Carstensen. Er werde das Vorhaben deshalb unterstützen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder will aber zunächst konkrete Vorschläge von Steinbrück zur Gegenfinanzierung abwarten. Kauder erwartet, "dass der Bundesfinanzminister einen Vorschlag unterbreitet, wie er rechtliche Bedenken und Haushaltskonsolidierung unter einen Hut bringen will". Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sieht den "Bundesfinanzminister am Zug". In der Sendung „2+4 Der Talk bei n-tv" sagte Pofalla: "Der Bundesfinanzminister wird jetzt die Sache prüfen und da schätze ich Herrn Steinbrück." Pofalla fügte hinzu: "Man muss aber auch sehen: Man kann in Deutschland die Pendlerpauschale nicht einfach hin- und herschieben. Sie ist ein pauschalierter Kostenersatz." Nach Pofallas Einschätzung wird Steinbrück empfehlen, es bei der jetzigen Regelung zu belassen, um dann die Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.
Der Finanzexperte der Unionsfraktion, Otto Bernhardt, versicherte der SPD: "Natürlich sind wir gesprächsbereit." Die SPD-Vorschläge dürften aber nicht mit Kosten verbunden sein: "Wir werden die Sanierung der Finanzen nicht populistischen Strömungen opfern." Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein will auf das Urteil der Bundesverfassungsrichter warten. "Ich halte es zuallererst für richtig, diese Entscheidung abzuwarten", sagte der CSU-Politiker. Zudem sei bislang unklar, wie die Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer finanziert werden könne, ohne den notwendigen Konsolidierungskurs in Deutschland in Gefahr zu bringen. "Das muss sehr sorgfältig geprüft werden."
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) plädiert fürs Abwarten, will aber eigentlich keine Reform der Pendlerpauschale. Steinbrück habe seinerzeit die Kürzung in die Beratungen eingebracht und Union und SPD hätten sie gemeinsam beschlossen. "Ich habe keinen Grund, jetzt von Steinbrück abzurücken", sagte Oettinger in Stuttgart.
Wahlkampf belastet
In der SPD wird befürchtet, dass die obersten Richter ihr Urteil erst im Bundestagswahlkampf 2009 fällen und sich die Wut der Bürger gegen mögliche hohe Steuernachforderungen gegen Steinbrück kehren könnte. Eine Sprecherin des Verfassungsgerichtes sagte, die Frage werde voraussichtlich noch 2008 entschieden. Die Planung der Karlsruher Richter kann aber erfahrungsgemäß noch erheblich verändert werden.
Steinbrück lotet Alternativen aus
Wieder einmal ist der Bundesfinanzminister in der Zwickmühle, der von einem "Abwägungsprozess" spricht. Steinbrück hält die umstrittene Kürzung weiterhin für richtig: "Der Finanzminister hält an seiner Position fest und sieht keine überzeugenden Gründe, davon abzuweichen", sagte sein Sprecher. Die parlamentarische Debatte müsse aber zur Kenntnis genommen werden.
Sollte Karlruhe der Auffassung des Finanzministeriums folgen, "müssen wir im Jahr 2009 Nachzahlungen von vielen Pendlern plus Zinsen verlangen", erklärte Steinbrück. "Wenn die Richter die Klagen zurückweisen, haben wir ebenfalls ein Problem und dazu Einnahmeausfälle." Auch den Weg, zur alten Pendlerpauschale zurückzukehren, hält der Finanzminister für politisch schwierig. "Wir müssten sie, wenn wir zum Haustürprinzip zurückkehren, für alle, also auch für die Fernpendler kürzen, um den Einsparbetrag zu erreichen."
Quelle: ntv.de