Bis zu 6,4 Grad wärmer Politiker sind alarmiert
02.02.2007, 07:41 UhrEin Temperaturanstieg um bis zu 6,4 Grad und die Erhöhung des Meeresspiegels um mehr als einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts. Das sind die alarmierenden Prognosen des vierten UN-Klimaberichts, der die Verantwortung des Menschen für die globale Erwärmung so deutlich herausstellt wie nie zuvor. "Mit dem nun vorliegenden Bericht sollten letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass wir Menschen es sind, die die Klimaschraube überdrehen", sagte der Klima-Chefberater der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber, zu dem am Freitag in Paris veröffentlichten Dokument des UN-Klimarats IPCC.
Der Report des zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change; IPCC) präsentiert sechs Szenarien für die Erderwärmung bis zum Jahr 2100. Im besten Fall ist demnach mit einer Temperaturerhöhung von 1,1 bis 2,9 Grad Celsius zu rechnen, im schlimmsten Fall mit 2,4 bis 6,4 Grad. Der Anstieg des Meeresspiegels beträgt im besten Szenario 18 bis 38 Zentimeter, im schlimmsten 26 bis 59 Zentimeter.
Elf der vergangenen zwölf Jahre seien unter den zwölf wärmsten seit dem Beginn der Aufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts, heißt es in dem Dokument weiter. Demnach steigt die Temperatur in den nächsten zwei Jahrzehnten alle zehn Jahre um 0,2 Grad. Der von 2500 Forschern in sechs Jahren ausgearbeiteten Studie liegen rund 400 Klimasimulationen und hunderte weitere Untersuchungen zu Grunde. Zwischen 1850 - dem Beginn der Aufzeichnungen - und dem Jahr 2005 sei die Temperatur bereits um 0,76 Grad gestiegen.
Angesichts dieser Daten kann es Experten zufolge nur noch darum gehen, die Folgen des Klimawandels abzumildern - aufhalten lässt er sich nicht mehr.
Intelligenter Technologiewandel
Die verschärften Warnungen vor dem drohenden Klimawandel haben allgemein Bestürzung ausgelöst. "Wir werden nicht völlig ungeschoren davon kommen", sagte Schellnhuber nach der Vorlage der ernüchternden Prognosen des UN-Klimarates. Selbst wenn der schädliche Treibhausgas-Ausstoß sofort zu stoppen wäre, würde der Meeresspiegel noch 1.000 Jahre ansteigen.
Die Opposition im Bundestag sowie Umweltschützer sprachen von einem "Warnsignal" und forderten die Regierung auf, die Anstrengungen zur Abwehr einer Klimakatastrophe zu verstärken. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) appellierte an die internationale Gemeinschaft, in diesem Jahr die Weichen für Nachfolge-Verhandlungen zum Kyoto-Klimaschutzabkommen zu stellen. Auch die EU müsse sich auf die von der Kommission vorgeschlagene Senkung des schädlichen Kohlendioxids um 30 Prozent bis 2020 einigen. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) kündigte ein Aktionsprogramm für die Klimaschutz-Forschung an. Bis 2010 sollten 255 Millionen Euro investiert werden. Es gehe um einen "intelligenten Technologiewandel". 35 Millionen sollen in den Ausbau des Deutschen Klimarechenzentrums Hamburg fließen.
Trotz der verschärften Lage sieht Gabriels Staatssekretär Michael Müller (SPD) kaum Möglichkeiten, die ehrgeizigen EU-Ziele zur Verminderung von Kohlendioxid um 30 Prozent und für Deutschland von dann 40 Prozent weiter zu verschärfen. Der technologische Fortschritt könne eine zusätzliche Einspar-Dynamik entwickeln. "Ich rate der Bundeskanzlerin, dass sie den Kurs, den sie jetzt eingeschlagen hat, hält und dass sie versucht, das Tempo nach und nach auch noch zu beschleunigen", sagte Schellnhuber. Merkels zweiter Klimaberater, Jan Göran Joseffson, forderte ein neues Weltabkommen zur Reduzierung der Treibhausgase. Deutschland komme dabei mit dem Doppelvorsitz in der EU und im Kreis der großen acht Industrieländer (G8) eine Schlüsselrolle zu, sagte der Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall dem "Tagesspiegel".
"Veränderungen in erträglichen Grenzen halten"
Gabriel hofft auf einen Erfolg der internationalen Klimakonferenz Ende des Jahres auf Bali, die einen Durchbruch für ein Kyoto-Anschlussabkommen ab 2012 bringen müsse. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass es eine von Menschen gemachte Klimaveränderung gibt und dass sie sich beschleunigt", sagte Gabriel. Es gebe nur noch die Chance, die Veränderungen im 21. Jahrhundert in für das Leben erträglichen Grenzen zu halten.
Kommt es zum ungebremsten Klimawandel, rechnet Schellnhuber für dieses Jahrhundert mit Tendenzen einer Versteppung in Ostdeutschland. Die Sahara könnte bei einer Erderwärmung um fünf Grad bis nach Berlin reichen. Der Meeresspiegel werde bis Ende des Jahrhunderts im Extremfall um zwei Meter steigen. Dadurch könnten Inseln verschwinden.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte ein sofortiges neues nationales Klimaziel der Bundesregierung: Eine Senkung der CO2-Emissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent und bis 2050 um mindestens 80 Prozent. Auf dieser Basis müssten EU-weit 30 Prozent durchgesetzt werden. Auch der Naturschutzbund und andere Umweltgruppen forderten von der Bundesregierung ehrgeizigere Ziele.
Industriepräsident Jürgen Thumann sprach sich für ein Weltklima-Regime aus, in dem auch andere Staaten wie die deutsche Industrie auf ressourcen- und energiesparende Produkte und Dienstleistungen umschwenkten.
Quelle: ntv.de