Politik

"Man darf sich da nichts vormachen" Polizei an der Belastungsgrenze

Die Überwachung schwer rückfallgefährdeter Straftäter ist ein Einsatz rund um die Uhr.

Die Überwachung schwer rückfallgefährdeter Straftäter ist ein Einsatz rund um die Uhr.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Während die schwarz-gelbe Koalition noch darüber streitet, wie die Sicherungsverwahrung künftig geregelt werden kann, schiebt die Polizei schon Sonderschichten bei der Überwachung der entlassenen Schwerkriminellen. Nach Ansicht des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wendt, müssen die Beamten "mal wieder ausbaden, was Politik und Justiz in den vergangenen Jahren vermasselt haben".

n-tv.de: Wie hoch ist der Aufwand, einen solchen Ex-Häftling rund um die Uhr zu überwachen?

Rainer Wendt: Wir reden über 25 bis 30 Beamte auf eine zu überwachende Person. Das gilt allerdings nur, wenn die Täter kooperativ sind, sich also abmelden und vorhersehbar ist, wo sie hingehen. Wenn sie sich nicht kooperativ verhalten oder sogar versuchen, sich der polizeilichen Beobachtung zu entziehen, braucht man erheblich mehr Personal. Dann kann man von mindestens 50 Beamten ausgehen. Wenn also alle 95 prognostizierten Straftäter rauskämen und überwacht werden müssten, reden wir von einem Personalaufwand von 3000 bis 5000 Polizisten.

Wie muss man sich das genau vorstellen?

Die konkreten taktischen Maßnahmen sollen natürlich nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Wir können nicht detailliert darlegen, wie wir uns auf ein bestimmtes Verhalten der zu überwachenden Personen einstellen. Da muss ich um Verständnis bitten. Aber wann auch immer der Täter irgendwo hingeht, folgen ihm Beamte in einem gebührenden Abstand, der seine Persönlichkeitsrechte respektiert. Das müssen mehrere Beamte sein, weil wir ja nie vorhersehen können, wo die Person hingeht. Man kann das deshalb auch gar nicht oft genug sagen, so viel Personal hat die Polizei nicht.

In der Freiburger JVA sitzen fast alle Sicherungsverwahrte Baden-Württembergs ein.

In der Freiburger JVA sitzen fast alle Sicherungsverwahrte Baden-Württembergs ein.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Freiburg, wo sich einer der entlassenen Straftäter niedergelassen hat, spricht die Polizei wegen des hohen Personaleinsatzes von einem großen Kraftakt. Inwieweit ist denn sichergestellt, dass die anderen polizeilichen Aufgaben da nicht hinten anstehen?

Sie können sicher sein, dass die Polizei in Deutschland mit ganzer Kraft dafür arbeitet, dass die Sicherheit für die Bevölkerung insgesamt gewährleistet bleibt. Aber man darf sich da nichts vormachen. Bisher sind 15 Leute frei und das ist schon ein Kraftakt. Jetzt stelle man sich vor, demnächst sind 95 Leute frei, dann ist das nicht mehr zu leisten, ohne Polizisten an anderer Stelle abzuziehen. Das ist dann im Ergebnis ein Minus an Sicherheit. Und wir können auch bei diesem Personalaufwand nicht garantieren, dass die zu beobachtende Person uns niemals entwischt.

Im besten Fall werden Sexual-Straftäter auf ihre Entlassung lange vorbereitet, haben im Vollzug eine Therapie gemacht und kommen dann in Freiheit. Jetzt geht das alles sehr schnell, viele der Täter haben zudem therapeutische Hilfe verweigert.  

Die Sexual- oder Gewalttäter haben mehrjährige Haftstrafen verbüßt, gelten aber als extrem rückfallgefährdet.

Die Sexual- oder Gewalttäter haben mehrjährige Haftstrafen verbüßt, gelten aber als extrem rückfallgefährdet.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Polizei muss mal wieder ausbaden, was Politik und Justiz in den vergangenen Jahren vermasselt haben. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist ja nicht über Nacht gefallen. Aber Deutschland hat es sich mit der Sicherungsverwahrung zu einfach gemacht. Der EGMR hat ja nicht verlangt, dass all diese Straftäter in Freiheit kommen. Er hat gesagt, es geht nicht, einfach nur die Haftbedingungen ein wenig zu verändern und dann die Haft auf unbestimmte Zeit laufen zu lassen.  Und schon gar nicht nachträglich. Dann müsst ihr euch mehr um diese Menschen kümmern. Ich finde, damit haben die Richter Recht.

Die Politik diskutiert das weitere Vorgehen sehr intensiv. Wie nehmen die Polizisten im täglichen Einsatz das wahr?

Die Beamten verfolgen das sehr genau, weil sie sich ja eine Lösung erhoffen. Der derzeitige Zustand, das weiß jeder Polizist, ist nicht auf Dauer zu ertragen. Die Polizisten spüren auch, dass sie an anderer Stelle dringender gebraucht werden. Was sie zur Zeit erleben, ist ein politischer Streit zwischen den Parteien, aber auch zwischen Bund und Ländern. Dieser Streit wird auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen und zu Lasten der Polizei. Deshalb finden es unsere Kollegen wichtig, diese Debatte öffentlich zu führen. Aber sie dringen auch auf eine vernünftige Lösung. Das kann ja unmöglich die Zukunft der Polizeiarbeit sein.

Wie könnte eine Lösung denn aussehen?

Rainer Wendt fordert eine zügige Lösungssuche.

Rainer Wendt fordert eine zügige Lösungssuche.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Lösung heißt nicht Freilassung, sondern im Anschluss an die Haft müssen die Täter sofort in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden. Bei nachgewiesen gefährlichen Personen muss das eben eine geschlossene psychiatrische Klinik sein. Das ist dann auch rechtlich sauber, denn die Unterbringung dieser Menschen ist dann eine Maßnahme der Gefahrenabwehr und fällt damit in die Zuständigkeit der Bundesländer. Die müssen also gar nicht auf eine Bundesgesetzgebung warten.

Was halten Sie von Ideen wie der elektronischen Fußfessel oder einer Veröffentlichung der Aufenthaltsorte bestimmter Sexualstraftäter im Internet?

Die Fußfessel ist ein Mittel, um den Aufenthalt von Kleinkriminellen und mögliche Aufenthaltsbeschränkungen zu überwachen. Aber sie ist völlig ungeeignet, um die Opfer vor Schwerkriminellen zu schützen. Der Internetpranger, den ich nicht so genannt, aber vorgeschlagen habe, ist auch nur die zweitbeste Lösung. Wenn der Staat wegen seiner politischen Unzulänglichkeit den Menschen einen Schwerverbrecher auf die Wohnetage setzt, dann muss es trotz Datenschutzes wenigstens möglich sein, auf diese Gefahren hinzuweisen.

Mit Rainer Wendt sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen