Politik

Präsidentschaftswahl in der Ukraine "Poroschenko muss Garant der Einheit sein"

Petro Poroschenko ist der Favorit bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen.

Petro Poroschenko ist der Favorit bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Kann eine Präsidentschaftswahl die Ukraine aus der Krise führen? Für Ernst-Jörg von Studnitz, den früheren deutschen Botschafter in Moskau, kommt die Wahl "zu früh". Dennoch sieht er Chancen - sogar für eine Anerkennung durch Wladimir Putin.

n-tv.de: Am Sonntag findet die ukrainische Präsidentenwahl statt. Kann die Abstimmung dem Land helfen?

Ernst-Jörg von Studnitz ist 76 Jahre alt und war von 1995 bis 2002 deutscher Botschafter in Moskau. Seit 2003 ist er Vorsitzender des Deutsch-Russischen-Forums.

Ernst-Jörg von Studnitz ist 76 Jahre alt und war von 1995 bis 2002 deutscher Botschafter in Moskau. Seit 2003 ist er Vorsitzender des Deutsch-Russischen-Forums.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Ernst-Jörg von Studnitz: Ich fürchte fast, dass diese Wahl zu früh kommt. Die Ukraine ist sehr uneinig. Wir müssen befürchten, dass die Menschen im Osten nur in sehr geringer Zahl teilnehmen. Nach den Wahlen wird man daher infrage stellen, wie repräsentativ das Ergebnis ist. Andererseits wird die provisorische Regierung in Kiew natürlich daran festhalten. Wie man das Ergebnis bewerten kann, wird aber entscheidend von dem gewählten Präsidenten abhängen.

Aller Voraussicht nach wird das Petro Poroschenko sein.

Wenn Poroschenko sich als Garant der Einheit der Ukraine versteht und versucht, alle Menschen einzubeziehen, dann kann es funktionieren. Er darf sich allerdings nicht so hinstellen wie die Regierung und sagen, alles, was im Osten passiert, sei ein Aufstand gegen Kiew. Er muss den Prozess des Runden Tisches fördern, so dass alle Kräfte der Ukraine vertreten sind. Hier kann ein Konsens entstehen, auf dem eine neue Verfassungsordnung für die Ukraine gebildet wird. Dann kann diese Wahl positive Wirkung entfalten.

Poroschenko hat in der Vergangenheit mehrfach die politischen Lager gewechselt. Zu Beginn des Jahres hat er die Demonstranten auf dem Maidan finanziert. Kann er als Präsident trotzdem eine Brücke zu Russland bauen?

Ich glaube, dass Poroschenko den Willen dazu hat. Zunächst einmal wird es darauf ankommen, dass er eine Brücke in seinem eigenen Land schafft. Wenn ihm das gelingt, kann er auch mit Russland sprechen. Dann hat die Ukraine wieder eine einheitliche Stimme.

Kanzlerin Merkel fordert von Russlands Präsident Putin, dass er die ukrainische Präsidentenwahl anerkennt. Halten Sie das für realistisch?

Wenn Poroschenko sich entsprechend verhält, nehme ich an, dass Putin das akzeptieren wird.

In der Regel erkennt man eine Wahl ja unmittelbar nach der Verkündigung des Ergebnisses an und nicht nach einer mehrwöchigen Beobachtungsphase.

Die Aussagen Putins zur Wahl sind sehr unterschiedlich. Er ist da sehr schwankend. Ich denke, er wird sich sehr genau ansehen, wie das Ergebnis aussieht und daraus seine Schlüsse ziehen.

Im Februar hat das ukrainische Parlament die alte Verfassung des Landes reaktiviert. Danach hat der Präsident weniger Macht als bisher. Wäre es nicht viel sinnvoller, es gäbe eine Parlaments- statt einer Präsidentenwahl?

Die alte Verfassung der Ukraine ist kein taugliches Instrument, um das Leben im Land neu zu organisieren. Die Vergangenheit hat bewiesen, dass sie nicht dazu beigetragen hat, die Ukraine innerlich zu einen. Die Ukraine ist zu einem Staat geworden, der von Oligarchen ausgeplündert worden ist und wo es eigentlich überhaupt kein Staatsverständnis mehr gibt. Deswegen lege ich so großen Wert auf das Verfahren der Runden Tische. Das ist die einzige Möglichkeit, den Menschen im Lande eine Stimme zu geben - eine wichtigere als bei einer Parlamentswahl. Daraus könnte sich das Gefühl entwickeln: "Das ist unser Staat, für den treten wir ein, für den wirken wir." Wenn sich Poroschenko dafür einsetzt, kann man die Ukraine als Staat innerlich neu begründen.

Innerlich neu begründen - heißt das auch, ihn geografisch neu zu definieren?

In puncto Krim wird das außerordentlich schwierig sein. Ich habe wenig Hoffnung, dass man dieses Thema gegenwärtig lösen kann. Ich bin davon überzeugt, dass da das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Aber der erste Anlass muss nun darauf abzielen, die Ukraine in den gegenwärtigen Grenzen ohne die Krim neu zu verfassen.

Sie waren von 1995 bis 2002 deutscher Botschafter in Moskau. Wie bewerten Sie die Rolle Russlands in den letzten Wochen?

Was die russische Politik zuletzt getan hat, ist ein Bruch mit dem, was sich in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelt hat. Einer der Höhepunkte der europäischen Entwicklung war die Schlussakte von Helsinki, in dem die territoriale Integrität aller existierenden Staaten in Europa anerkannt worden ist. Das war ein wichtiger Schritt, um einen Schlussstrich zu ziehen unter die kriegerischen Auseinandersetzungen um Grenzen, wie Europa sie mehr als 150 Jahre lang erlebt hat. Putin trägt die Verantwortung, dass das alles durch die Annektion der Krim infrage gestellt worden ist.

Mit Ernst-Jörg von Studnitz sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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