Viele Tote in Kirgisistan Präsidentin vermutet Kalkül
11.06.2010, 18:21 UhrBei gewaltsamen Auseinandersetzungen im zentralasiatischen Kirgisistan werden mindestens 50 Menschen getötet, über 660 werden verletzt. Im Süden des Landes brennen Häuser und Autos, das Militär und die Polizei reagieren mit harter Hand. Die Übergangsregierung verhängt über die Hochburg von Ex-Präsident Bakijew den Ausnahmezustand - und vermutet Kalkül.
Bei blutigen Unruhen im Süden des zentralasiatischen Landes Kirgisistan sind mindestens 50 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 660 weitere Menschen wurden verletzt, als sich Jugendliche in der Stadt Osch und Umgebung schwere Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften lieferten. Eine Sprecherin der Gesundheitsbehörde in der Hauptstadt Bischkek schloss einen weiteren Anstieg der Opferzahl nicht aus.
Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa, die auch die Regierung führt, warnte vor einer weiteren Eskalation. Seit dem blutigen Volksaufstand gegen den autoritären Präsidenten Kurmanbek Bakijew im April erhöhte sich die Zahl der Toten nach den neuen Gewaltexzessen auf mehr als 140.
Die Interimsregierung des Landes ordnete für Osch und Bezirke in der Umgebung den Ausnahmezustand sowie eine nächtliche Ausgangssperre an. Nach den Ausschreitungen in der Nacht zum Freitag konnten Militär und Polizei die Lage erst am Nachmittag weitgehend unter Kontrolle bringen. Das Militär patrouillierte mit gepanzerten Fahrzeugen. Otunbajewa machte Konflikte zwischen einzelnen Interessengruppen für die Eskalation verantwortlich. Es handele sich vermutlich auch um einen gewaltsamen Versuch, die für den 27. Juni geplante Volksabstimmung über eine neue Verfassung zum Scheitern zu bringen. Hier fürchten viele Clans in Kirgisistan einen Machtverlust.
Panzer und Hubschrauber im Einsatz
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) rief alle Seiten zur Ruhe auf. Man bedauere das Blutvergießen zutiefst, sagte der amtierende OSZE-Vorsitzende und kasachische Außenminister Kanat Saudabajew in der Hauptstadt Astana. Kasachstan, das an Kirgisistan grenzt, hat in diesem Jahr den Vorsitz der OSZE inne.
In Teilen von Osch brannten Dutzende Häuser, darunter Geschäfte, Kultureinrichtungen und Internetcafes, sowie zahlreiche Autos. Über der Stadt stiegen schwarze Rauchwolken auf, wie eine Augenzeugin sagte. Mit Panzern, Hubschraubern und Schüssen in die Luft versuchten Militär und Polizei, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Nach Schätzungen der Polizei waren mehrere tausend Menschen an den blutigen Ausschreitungen beteiligt.
Verfassungsreferendum Ende des Monats
Beobachter bezeichneten den neuen Ausbruch von Gewalt als Provokation, um die instabile Lage in Kirgisistan weiter zu verschärfen. Auch die Regierung von Otunbajewa gilt als gespalten. Bei dem Referendum Ende des Monats soll nach dem Sturz Bakijews über eine neue Verfassung abgestimmt werden. In Osch gibt es besonders viele Anhänger Bakijews, der Asyl in Weißrussland gefunden hat. Seit April kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, während die Lage im Norden, wo die Hauptstadt Bischkek liegt, vergleichsweise ruhig ist.
Die Shanghai-Kooperations-Organisation (SCO) sprach sich am Vortag auf ihrem Gipfel in der usbekischen Hauptstadt Taschkent für eine Unterstützung Kirgisistans aus. Kremlchef Dmitri Medwedew und Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao sagten, dass alles für eine rasche Stabilisierung der Lage in dem Land getan werden müsse. Die SCO vereinbarte auch, eine Beobachtergruppe zur Volksabstimmung zu entsenden. Wichtig sei jetzt vor allem, dass die bislang nicht über Wahlen legitimierte Regierung auf eine rechtskräftige Basis gestellt werde, betonte Medwedew. Die USA und Russland hatten Otunbajewa, die einen demokratischen Staat aufbauen will, Hilfe zugesichert.
Quelle: ntv.de, dpa