Opposition kritisiert "Schauprozess" Prominenter Kremlgegner muss ins Lager
24.07.2014, 21:20 Uhr
Sergej Udalzow gab sich auch im Gerichtssaal kämpferisch.
(Foto: AP)
Die Massendemonstrationen gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin enden 2012 im kompletten Chaos, Sicherheitskräfte und Regierungsgegner prallen gewaltsam aufeinander. Peu a peu müssen prominente Demonstranten nun lange Haftstrafen antreten.
Gut zwei Jahre nach Massenprotesten gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin ist der prominente Regierungsgegner Sergej Udalzow zu viereinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Das Gericht in Moskau sehe es als erwiesen an, dass Udalzow im Mai 2012 zu gewaltsamen Ausschreitungen angestiftet habe, sagte ein Justizsprecher der Agentur Interfax zufolge. Der Mitangeklagte Leonid Raswosschajew erhielt ebenfalls viereinhalb Jahre Lagerhaft wegen der Proteste auf dem Bolotnaja-Platz am 6. Mai 2012, dem Tag vor Putins Einführung in seine dritte Amtszeit.
Die Verteidigung kritisiert den Prozess als politisch motiviert und kündigte an, in Berufung zu gehen. Dies sei keine Verhandlung, sondern ein "Schauprozess", sagte Verteidiger Dmitri Agranowski. Die Staatsanwaltschaft hatte jeweils acht Jahre Lagerhaft gefordert. Mehrere einflussreiche Putin-Kritiker waren in den vergangenen Jahren verurteilt worden. Zu den bekanntesten Gegnern zählt der Blogger und Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalny. Er war wegen Unterschlagung zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Zwei Frauen der Punkband Pussy Riot saßen jeweils fast zwei Jahre in Lagerhaft.
"Vom Demonstrationsrecht nicht viel übrig"
Die Bürgerrechtlerin Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe kritisierte das Urteil scharf. "Dieser Prozess ist der Beweis, dass bei uns vom Demonstrationsrecht nicht viel übrig ist", sagte die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung. Vor dem Gerichtsgebäude protestierten Unterstützer der beiden Angeklagten friedlich gegen "Justiz-Willkür". "Freiheit den Gefangenen des 6. Mai", riefen sie in Sprechchören. Viele trugen Transparente mit Udalzows Porträt. Der Oppositionspolitiker von der außerparlamentarischen Linken Front sitzt seit Monaten in Hausarrest. Ein großes Polizeiaufgebot riegelte das Gerichtsgebäude ab.
Der ganz in Schwarz gekleidete Udalzow brachte demonstrativ eine Tasche mit Wäsche und wichtigen Utensilien mit in den Gerichtssaal, wie Augenzeugen berichteten. "Ich rechne damit, sofort ins Gefängnis zu gehen", sagte der 37-Jährige. Unterstützer grüßte er wiederholt mit erhobener Faust. Raswosschajew, der in Untersuchungshaft sitzt, musste den Prozess aus einem Glaskäfig heraus verfolgen. Der Vorsitzende Richter Alexander Samaschnjuk warf Udalzow und Raswosschajew vor, bei der Demonstration vor zwei Jahren massive Gewalt gegen die Polizei provoziert zu haben. Beide hätten unter anderem "regierungsfeindliche Agitationsschriften" verteilt. Bei den Ausschreitungen seien damals 78 Sicherheitskräfte verletzt worden.
Die Polizei habe "korrekt gehandelt", betonte der Richter. Hingegen hätten die Demonstranten Steine und Molotow-Cocktails geworfen. Als Prozessbesucher "Lüge" riefen, drohte Samaschnjuk mit Rauswurf. Insgesamt waren bei den gewaltsam aufgelösten Anti-Putin-Protesten am 6. Mai 2012 rund 400 Menschen festgenommen worden. Gegen 29 von ihnen wurde ein Strafverfahren eröffnet. Viele der Angeklagten wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Beobachter bezeichnen das Bolotnaja-Verfahren als Politprozess eines Ausmaßes, wie es ihn in der jüngeren Geschichte Russlands nicht gegeben habe.
Quelle: ntv.de, jve/dpa