Klitschko mahnt zur Vorsicht Proteste in Kiew werden brutaler
01.12.2013, 17:37 Uhr
In Kiew versuchen Demonstranten, eine Absperrung der Polizei zu durchbrechen.
(Foto: AP)
Die Wut auf Präsident Janukowitsch treibt Zehntausende Ukrainer ins Zentrum von Kiew. Nahe dem Verwaltungssitz des Präsidenten eskaliert die Lage. Demonstranten versuchen, mit einem Schaufelbagger die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen.
Bei Protesten pro-europäischer Regierungsgegner in Kiew sind mehrere Polizisten sowie Demonstranten verletzt worden. Während der Zusammenstöße am Rande der Oppositionskundgebung vor dem ukrainischen Regierungssitz hätten rund 100 Sicherheitskräfte Verletzungen davongetragen, sagte eine Polizeisprecherin.
Zahlreiche Demonstranten hatten offenbar versucht, eine Absperrung vor dem Verwaltungssitz von Präsident Viktor Janukowitsch zu durchbrechen. Ein Reporter berichtete, dass eine Planierraupe mehrere Male auf die Polizisten zusteuerte. Hunderte vermummte junge Leute bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Die Polizisten setzten Blendgranaten ein. Mindestens drei verletzte Demonstranten waren zu sehen, einer von ihnen mit einer Kopfverletzung.
Die Opposition distanzierte sich von der Gewalt in der Nähe von Janukowitschs Amtsitz. Diese Zusammenstöße seien geplant gewesen, um dem Präsidenten einen Vorwand für eine Notstandserklärung zu geben. Der Chef der oppositionellen Udar-Partei, Boxweltmeister Vitali Klitschko, rief die Demonstranten zur Vorsicht auf. "Ich fordere Euch auf, sehr vorsichtig zu sein; wenn jemand Euch auffordert, öffentliche Gebäude zu stürmen, kann das sehr gefährlich sein." "Der Sturm des Präsidentensitzes ist eine Provokation der Regierung, um die friedliche Aktion auf dem Unabhängigkeitsplatz zu diskreditieren", sagte er.
Rathaus gestürmt
Nationalistische Demonstranten besetzten unterdessen das Rathaus der Hauptstadt. Anhänger der rechtsextremen Freiheitspartei und ihres Vorsitzenden Oleh Tyahniboh drangen in das Gebäude ein und brachten zumindest einen Teil davon unter ihre Kontrolle. Tyahniboh rief den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz zu, "unsere Jungs haben das Rathaus in Kiew übernommen". Die Freiheitspartei lehnt eine stärkere Anbindung der Ukraine an Russland strikt ab.
Zuvor hatten sich in der Hauptstadt rund zahlreiche pro-europäische Demonstranten friedlich versammelt und den Rücktritt von Staatschef Viktor Janukowitsch gefordert. Über die Zahl der Teilnehmer gibt es unterschiedliche Angaben. In einem örtlichen Fernsehsender war von 700.000 die Rede.
Der Protestzug verwandelte das Zentrum von Kiew in ein Fahnenmeer in den Farben blau und gelb, die sowohl die Ukraine als auch die Europäische Union symbolisieren. Weil er unter dem Druck Russlands ein über mehrere Jahre ausgehandeltes EU-Assoziierungs- und Handelsabkommen doch nicht unterzeichnete, hat Janukowitsch den Zorn vieler Ukrainer auf sich gezogen. Klitschko warf der Regierung vor, die Ideale des Landes verraten zu haben.
Die Opposition will so lange demonstrieren, bis Janukowitsch gestürzt ist. Zu den Forderungen zähle auch der Rücktritt von Regierungschef Nikolai Asarow, "der den europäischen Traum der Ukraine zerstört hat", sagte Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. "Wenn diese Regierung nicht den Willen des Volkes umsetzen will, dann wird es diese Regierung und diesen Präsidenten nicht geben", rief Klitschko der jubelnden Menschenmenge zu. "Dann wird es eine neue Regierung und einen neuen Präsidenten geben." Jazenjuk kündigte an, dass am Montag das Gebäude des Ministerkabinetts besetzt werde.
Präsident verspricht Annäherung an EU
Der Präsident hatte noch kurz vor den Massenprotesten versucht, die aufgebrachten EU-Befürworter zu besänftigen. Er werde alles in seiner Macht stehende tun, um eine Annäherung an die EU voranzutreiben, wird er in einer offiziellen Erklärung zitiert. Der Staatschef hatte die geplante Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU Ende der Woche kurzfristig abgesagt, nachdem Russland mit Handelsstrafen gedroht hatte. Die Gegner von Janukowitsch tragen seit Tagen ihre Wut darüber auf die Straße. Ihr Zorn wurde nur noch weiter geschürt, als die Polizei am Samstag in Kiew gewaltsam ein Protestlager räumte.
Das ukrainische Innenministerium kündigte zunächst einen harten Kurs gegenüber den Demonstranten an. Die Polizei werde nicht zulassen, dass die Ukraine zu einem Land wie Libyen oder Tunesien werde, wo Volksaufstände Regierungen zu Fall brachten. Doch am Sonntag wichen die Sicherheitskräfte zurück, als sich die Demonstranten dem nach dem Polizeieinsatz gesperrten Unabhängigkeitsplatz näherten und regelrecht fluteten. Dort hatten Beamte noch am Vortag die Versammlung der Regierungsgegner gestürmt und dabei Schlagstöcke eingesetzt.
Quelle: ntv.de, jga/dpa/rts/AFP