Politik

Alles ganz gleichberechtigt Pure Harmonie vor harten Runden

Union und FDP bemühen sich zu Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen demonstrativ um Harmonie; Konflikte bleiben erstmal ausgeklammert. Schon heute soll es aber in den zehn Arbeitsgruppen zur Sache gehen, damit die Regierung bis zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November steht.

Die Generalsekretäre von FDP, CDU und CSU, Dirk Niebel (l-r), Ronald Pofalla und Alexander Dobrindt, erklären der Presse, was sie wissen soll.

Die Generalsekretäre von FDP, CDU und CSU, Dirk Niebel (l-r), Ronald Pofalla und Alexander Dobrindt, erklären der Presse, was sie wissen soll.

(Foto: dpa)

Ihre Zusage einer gemeinsamen Verhandlungsposition haben CDU und CSU bei der ersten Koalitionsrunde zumindest räumlich umgesetzt: Die Parteichefs Angela Merkel und Horst Seehofer nahmen am Konferenztisch im Europasaal der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Berlin direkt nebeneinander Platz - FDP-Chef Guido Westerwelle saß ihnen gegenüber - in Augenhöhe. Flankiert wurden die Vorsitzenden von den jeweils acht weiteren Unterhändlern ihrer Parteien. Einen förmlichen Vorsitz gab es ausdrücklich nicht.

Alles total gleichberechtigt - auch die Sitzordnung.

Alles total gleichberechtigt - auch die Sitzordnung.

(Foto: REUTERS)

Merkel, Westerwelle und Seehofer hatten sich vor Beginn darauf verständigt, dass bei der Auftakt-Veranstaltung zur Bildung der schwarz-gelben Koalition alles ganz gleichberechtigt zugehen sollte. So war es dann auch - bis hin zur Sitzordnung, die in einem Rechteck angeordnet war.

Die Koalition der freundlichen Gesichter der Verhandlungschefs von FDP, CDU und CSU Westerwelle, Merkel und Seehofer.

Die Koalition der freundlichen Gesichter der Verhandlungschefs von FDP, CDU und CSU Westerwelle, Merkel und Seehofer.

(Foto: REUTERS)

Die Sitzung begann mit Eingangsstatements von Merkel, Seehofer und Westerwelle. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière gab einen Überblick über die Haushaltslage. Inhaltliche Streitfragen wurden nur andiskutiert. Das Personal des künftigen Kabinetts war kein Thema.

Großer Einigungswille

Zum Auftakt ihrer Koalitionsverhandlungen verständigten sich die zukünftigen Regierungspartner auf einen Fahrplan für die weiteren Gespräche. Zudem wurden zehn Arbeitsgruppen zu Fachthemen eingesetzt, die der großen Verhandlungskommission zuarbeiten sollen. Ziel sei es, die Gespräche zügig aber ohne Eile zu führen, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla nach der Sitzung in Berlin. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte, Ziel sei ein politischer Neuanfang für Deutschland an. Auch bei kontroversen Themen bestehe zwischen den Partnern ein großer Einigungswille.

Betonter Optimismus

Die Parteivorsitzenden hatten sich bereits zu Beginn der Verhandlungen optimistisch gezeigt. Alle Seiten sprachen nach den zum Teil harschen Vorhaltungen in der Nachwahl-Woche von einer guten Atmosphäre. Die Gespräche würden in guter Partnerschaft und mit großer Fairness geführt, versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Wir wollen auf Wachstum setzen, wir wollen auf Arbeitsplätze setzen und auf den Wohlstand unseres Landes." FDP-Chef Guido Westerwelle nannte die Meinungsunterschiede überbrückbar. Jede neue Regierung sei auch ein neuer Anfang. Am Ende der Gespräche werde ein gutes Ergebnis für das Land stehen.

Trotz einer sich abzeichnenden neuen Milliardenlücke im Bundeshaushalt wollen Union und FDP spürbare Steuerentlastungen beschließen. Niebel und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bekräftigten dazu in Interviews die Wahlversprechen ihrer Parteien. Ein Papier aus dem Kanzleramt, das vor einem 40-Milliarden-Loch bis 2013 warnt, wiesen sie zurück. CSU-Chef Seehofer sagte, Steuersenkungen und Konsolidierung der Haushalte schlössen einander nicht aus.

Allen Teilnehmern sei die große Freude auf eine neue Regierung anzumerken gewesen, sagte Pofalla nach der Sitzung. Der geplante gemeinsame Koalitionsvertrag solle Deutschland "in ein gutes neues Jahrzehnt führen".

Ohne Pause in die Arbeitsgruppen

Die große Delegation will bereits am Donnerstag das nächste Mal zusammenkommen. Weitere Sitzungen der Verhandlungsgruppe sind am 14. sowie am 16., 17. und 18. Oktober geplant. Die Arbeitsgruppen, etwa zu den Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, sollen bereits am Dienstag mit ihren Beratungen beginnen.

Wegen Differenzen in vielen Feldern rechnen die Parteien mit schwierigen Verhandlungen. So wollen die Liberalen den Kündigungsschutz lockern und den Gesundheitsfonds abschaffen. Beides lehnt die Union ab. Große Meinungsunterschiede bestehen zwischen CDU/CSU und FDP nicht zuletzt beim Thema innere Sicherheit. Die Liberalen sind außerdem anders als die Union gegen Mindestlöhne in einzelnen Branchen.

Haushaltspolitik vor Herkulesaufgabe

In der ersten Sitzung stand eine Bestandsaufnahme zur Haushaltslage auf der Tagesordnung. In dem Strategiepapier aus dem Kanzleramt wird diese als dramatisch beschrieben. Vor allem wegen der neuen Schuldenbremse müssten bis 2013 mehr als 40 Milliarden Euro aufgebracht werden - durch Mehreinnahmen oder Minderausgaben. Damit stehe die Haushaltspolitik vor einer "Herkulesaufgabe". CSU-Generalsekretär Dobrindt sagte dem "Münchner Merkur", die Vorlage sei keine Basis für die Koalitionsverhandlungen. Sie sei Ausdruck einer "alten Steinbrückschen Finanztheorie ohne Fantasie".

Der als Minister gehandelte FDP-Vize Rainer Brüderle bezeichnete das Papier als Teil der üblichen psychologischen Vorbereitungen auf die Verhandlungen. "Am Schluss zählt, was man im Kasten hat." CDU-Vize Christian Wulff stellte gar eine große Steuerreform in Aussicht. Die FDP will die Steuern um 35 Milliarden Euro senken, die Union um weniger als die Hälfte.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch warnte aber vor zu hohen Erwartungen. Entlastungen seien möglich, der Spielraum aber begrenzt. Die von der Union genannte Zahl von 15 Milliarden Euro sei vernünftig, sagte er dem ZDF. Wenn man mehr wolle, müsse man an anderer Stelle einsparen.

Bundesbankpräsident Axel Weber sagte, eine gegenfinanzierte Steuerreform sollte frühestens 2011 kommen. Er mahnte zugleich, die hohen Defizite dürften kein Dauerzustand sein. Besitzstände müssten beschnitten und Subventionen abgebaut werden.

Harte Verhandlungen über Innenpolitik

Allein schon von der Besetzung der Arbeitsgruppen her zeichnen sich vor allem in der Innen- und Justizpolitik die härtesten Auseinandersetzungen ab. Den Vorsitz übernehmen hier Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Schäuble gilt als Vertreter einer Sicherheitspolitik, die auf einen starken Staat baut. Leutheusser- Schnarrenberger hat hingegen stets die Bewahrung der Bürgerrechte in den Mittelpunkt gestellt.

Erste Proteste von Atomkraftgegnern

Protestierende Atomkraftgegner begleiten lautstark den Auftakt der Koalitionsverhandlungen.

Protestierende Atomkraftgegner begleiten lautstark den Auftakt der Koalitionsverhandlungen.

(Foto: AP)

Der Auftakt wurde von Protesten begleitet. Atomkraftgegner riefen "Hopp, hopp, hopp, Atomkraft stopp". Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprach von rund 1500 Teilnehmern, die sportlich gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken protestierten.

Merkel und Westerwelle "gesetzt"

Sie sind "gesetzt": Die alte und neue Kanzlerin und der absolut neue Außenminister.

Sie sind "gesetzt": Die alte und neue Kanzlerin und der absolut neue Außenminister.

(Foto: REUTERS)

Mit Spannungen wurden in den Parteien die Personalfragen diskutiert. FDP-Vizechef Andreas Pinkwart stellte vor Aufnahme der Verhandlungen den Anspruch seiner Partei auf das Außenministerium klar. "Gesetzt sind Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister Guido Westerwelle als Vizekanzler", sagte Pinkwart der "Leipziger Volkszeitung". Der hessische Regierungschef und CDU-Vize Koch wies Spekulationen über einen Wechsel in die neue Regierung erneut zurück. Sein Platz sei in Wiesbaden, sagte er. Am Wochenende hatte es in einem Zeitungsbericht geheißen, Merkel wolle ihn für das Finanzressort nach Berlin holen.

Quelle: ntv.de, hdr/rts/dpa/AFP

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