An den Schalthebeln der Macht Putin erwägt Rückkehr in Kreml
03.12.2009, 11:42 Uhr
Politikmüde? Gott bewahre!
(Foto: AP)
"Darauf könnt Ihr lange warten", antwortet Russlands Regierungschef auf die Frage nach seinem Abschied aus der Politik. Im Gegenteil: Putin will über eine Präsidentschaftskandidatur 2012 "nachdenken". Seine jährliche Marathon-"Fernsehsprechstunde" nutzt Putin außerdem für eine Warnung vor einer andauernden Terrorgefahr.
Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin denkt nicht ans Aufhören und erwägt 2012 die Rückkehr ins Präsidentenamt. "Ich werde darüber nachdenken. Es ist noch genug Zeit", sagte Putin bei seiner jährlichen Fernsehsprechstunde mit Bürgern des Landes.
Bisher hatte Putin gesagt, dass er sich zu gegebener Zeit mit Amtsinhaber Dmitri Medwedew einigen wolle, wer von beiden antrete. Viele politische Beobachter in Russland erwarten eine Rückkehr des früheren Kremlchefs, der im vergangenen Jahr aus Verfassungsgründen nach zwei Amtszeiten hintereinander zunächst abtreten musste.
Nach mehr als zehn Jahren an den Schalthebeln der Macht schloss Putin einen baldigen Ausstieg aus der Politik sehr deutlich aus. Auf die Frage eines Zuschauers, ob er sich nach all den Jahren nicht lieber seiner Familie widmen und ein ruhiges Leben führen wolle, antwortete der Regierungschef: "Darauf könnt Ihr lange warten!"
Warnung vor anhaltendem Terror

Während seiner TV-Ansprache ist Putin überall präsent: in Moskauer Elektronikläden ...
(Foto: REUTERS)
Putin gilt in Russland weiter als mit Abstand populärster Politiker. Viele Zuschauer nutzten die mehr als dreistündige Fragerunde, um ihm persönlich zu danken. Putin nutzte die Zeit auch, um vor einer andauernden Terrorgefahr zu warnen. Der jüngste Anschlag auf einen russischen Schnellzug belegt nach seinen Worten eine anhaltend hohe terroristische Bedrohung. "Wir haben viel getan, um dem Terrorismus das Rückgrat zu brechen, aber die Bedrohung ist nicht völlig ausgeschaltet", sagte Putin. Jeder einzelne Bürger müsse aufmerksam sein, und der Staat müsse sein Vorgehen gegen Kriminelle dieser Art verschärfen. Bei dem Anschlag am vergangenen Freitag auf den voll besetzten Luxuszug "Newski Express" zwischen Moskau und St. Petersburg starben 26 Menschen. Islamistische Rebellen bekannten sich zu der Tat.
Mit den Äußerungen eröffnete Putin seine jährliche Marathon-Livesendung mit Zuschauerfragen, die aus einem Konferenzzentrum in der Nähe des Kreml auch vom staatlichen Radio übertragen wurde. Im vergangenen Jahr hatte die Sendung gut drei Stunden gedauert. Zur diesjährigen, insgesamt achten Ausgabe unter dem Titel "Ein Gespräch mit Wladimir Putin. Die Fortsetzung" gingen nach offiziellen Angaben per Telefon, SMS und Internet mehr als 700.000 Fragen ein. Schon im Vorfeld hatten Interessierte mehr als 1,5 Millionen Fragen für das "Gespräch mit Wladimir Putin" eingesandt. Auch von den Zuschauern im Studio und in Live-Zuschaltungen aus Produktionsbetrieben im Land kamen Fragen während der Sendung. Schwerpunktthemen in einer von der Regierung veröffentlichten Auswahl waren Korruption, Bürokratie und staatliche Sozialleistungen.
Leicht bergauf
Zur Wirtschaftsentwicklung sagte Putin, die Krise in Russland habe ihren Höhepunkt überschritten. Um sie zu überwinden, seien aber noch Zeit und erhebliche Mittel nötig. Insgesamt werde die Wirtschaftsleistung des Landes in diesem Jahr um etwa 8,5 bis 8,7 Prozent schrumpfen und die Industrieproduktion wohl um rund 13 Prozent. Von Mitte 2010 an rechne er mit einem anziehenden Aufschwung.
Kritisch äußerte sich der Ministerpräsident zur Rolle der USA bei den Beitrittsbemühungen Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO). "Ein WTO-Beitritt bleibt unser strategisches Ziel, aber wir haben den Eindruck, dass aus unbekannten Gründen einige Länder - darunter die Vereinigten Staaten - unsere Aufnahme erschweren", sagte Putin.
Keine Hinweise auf iranische Atombombe
Russland liegen Putin zufolge keine Erkenntnisse über die Existenz eines iranischen Atomwaffenprogramms vor. "Wir haben keine Informationen darüber, dass der Iran am Bau einer Nuklearwaffe arbeitet", sagte Putin. Er ließ auf Nachfrage offen, ob Russland angesichts der jüngsten Eskalation im Atomstreit weitere UN-Sanktionen gegen die Islamische Republik unterstützen wird. Russland könnte mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat eine entsprechende Resolution blockieren.
Stalin-Verbrechen scharf verurteilt
In ungewöhnlich scharfer Form verurteilte Putin die Verbrechen unter dem sowjetischen Diktator Josef Stalin. Jede Form von Totalitarismus sei unzulässig, um ein Land zu führen, sagte er. "Zweifellos hatten wir es zu dieser Zeit nicht nur einfach mit Personenkult zu tun, sondern mit massenhaften Verbrechen gegen das eigene Volk. Und dies sollten wir niemals vergessen", antwortete Putin auf eine Frage zu seiner Meinung über Stalin. Für das "Positive" unter Stalin sei ein unzumutbarer Preis bezahlt worden. In Russland hat der Stalin-Kult viele Anhänger.
Historiker und Menschenrechtler hatten der russischen Führung immer wieder vorgeworfen, sich nicht ausreichend von der blutigen Vergangenheit unter Stalin zu distanzieren. Sie hatten auch eine zunehmende Verherrlichung des Diktators in Schuldbüchern und im öffentlichen Leben beklagt. Zuletzt verurteilte auch Kremlchef Dmitri Medwedew überraschend klar Stalins Verbrechen. Trotzdem brachten Kommunisten in der Stadt Woronesch Werbetafeln mit Stalins Bild an mehreren Straßen an. In der Moskauer Metro wird der Diktator mit einer frischen Inschrift als Held verehrt.
Quelle: ntv.de, rts/dpa