n-tv Korrespondent Dirk Emmerich im Interview aus Slawjansk "Putin ist der Einzige, der einen Plan hat"
21.04.2014, 20:30 Uhr
Prorussische Demo in Luhansk, im Osten der Ukraine.
(Foto: AP)
Die Lage im Osten der Ukraine ist verworren - besonders das Feuergefecht nahe Slawjansk wirft viele Fragen auf. Vor Ort macht sich n-tv-Korrespondent Dirk Emmerich ein eigenes Bild. Es gibt zahlreiche Ungereimtheiten - welche, sagt er im Gespräch mit n-tv.de.
n-tv.de: Der Angriff auf einen Kontrollpunkt russischer Milizen nahe Slawjansk hat den Konflikt im Osten der Ukraine neu entfacht. Doch vieles ist widersprüchlich. Glaubst Du auch, dass der rechte Sektor für den Angriff verantwortlich ist?
Dirk Emmerich: Ich war vor Ort und glaube zunächst einmal, dass es dort tatsächlich eine Schießerei gab. Alle Anwohner, mit denen ich gesprochen habe, berichten auf die gleiche Weise von dem Vorfall: Fahrzeuge haben sich genähert und das Feuer eröffnet. Kollegen, die direkt am Morgen vor Ort waren, haben zwei Leichen gesehen, die sicher nicht präpariert waren. Aber darüber hinaus wird es schwierig.
Warum?
Es gibt viele Ungereimtheiten. Die Leute, die die Straßensperre bewachten, sagen, sie seien unbewaffnet gewesen, was auch zu stimmen scheint. Doch zufällig waren prorussische Milizen vor Ort, die dann das Feuer der Angreifer erwidern konnten. Da frage ich mich: Ist das wirklich Zufall gewesen? Waren die vorgewarnt?
Aber in den Autos wurden doch Indizien gefunden.
Ja, es wurden Visitenkarten von Dmitro Jarosch vom Rechten Sektor gefunden, aber wenn man die Telefonnummer anruft, meldet sich eine Frau, die sagt, dass sie nun schon hundert Mal angerufen wurde und wirklich nichts mit dem Herrn zu tun hat. Dann wurden Dollarnoten in Klarsichtfolien gefunden, obwohl die Autos doch ausgebrannt sind. Was denn nun? Außerdem wirkten die Nummernschilder an den Autos ganz neu und überhaupt nicht verbrannt. Ich glaube, man hat da ein bisschen nachgeholfen. Man wollte deutlich machen, dass das der Rechte Sektor aus Kiew war.
Wer könnte es sonst gewesen sein? Der russische Geheimdienst vielleicht?
Das glaube ich nicht. Dann hätte man ja eigene Leute erschießen lassen müssen. Ansonsten sind für mich keine Gruppen sichtbar, die in Frage kommen. Die ukrainische Armee sicher nicht, die scheint mir dazu kaum in der Lage zu sein. Das hat man ja bei der Anti-Terror-Operation in der vergangenen Woche gesehen.
Wie ist die Stimmung in Slawjansk? Könnte es weitere Gewalt geben?
Das kann man nicht ausschließen. Die Stadt macht im Augenblick aber einen entspannten Eindruck auf mich. Sie scheint auch eher hinter den Milizen zu stehen. Hier in Slawjansk haben die Menschen viele Probleme und sind unzufrieden. Daher verbinden sie mit den Russen auch Hoffnungen. Die Menschen im Osten der Ukraine wollen ein Referendum über die Unabhängigkeit einer Republik Donezk, einen Anschluss an Russland schließen sie als Möglichkeit nicht aus.
Wer verbirgt sich hinter diesen prorussischen Milizen? Es erinnert doch alles sehr an die Krim-Besetzung.

US-Vizepräsident Biden (l.) bei seiner Ankunft in Kiew. Empfangen wurde er vom ukrainischen Außenminister Andri Deschtschytsja (r.).
(Foto: AP)
Anfangs waren es nur die prorussischen Aktivisten, die aufgetaucht sind. Man merkte ihnen an, dass es keine Profis sind, zum Beispiel daran, wie sie die Waffen gehalten haben. Dann waren die Kosaken da, die aber mittlerweile wieder weg sind, und dann, seit Mitte vergangener Woche, sind richtige Soldaten gekommen. Sie tragen keine Abzeichen, aber man sieht daran, wie sie auftreten und die Waffen halten, dass das Profis sind. Ich habe einem entlocken können, dass er von der Krim kommt und hierhinbeordert wurde. Zwei andere haben uns inzwischen erzählt, dass sie aus dem Kuban und Stawropol kommen. Und das sind beides russische Regionen.
Wollen sich die Russen die Region wie die Krim einverleiben?
Auszuschließen ist das nicht. Ich glaube aber nicht, dass es eine Intervention geben wird. Es gibt einen Unterschied zur Krim: Dort hatten sie immer Militär, das ist hier nicht der Fall. Den Russen ist vor allem wichtig, zu verhindern, dass die Ukraine der Nato beitritt. Mit einer einseitig von Russland anerkannten unabhängigen Republik Donezk als ständiger Zankapfel gegen die Regierung in Kiew wäre das vielleicht leichter zu verhindern.
Mittlerweile ist der OSZE-Vertreter Mark Etherington in Slawjansk eingetroffen und hat mit dem selbsternannten "Bürgermeister" von Slawjansk, Ponomarew, gesprochen. Was kann er überhaupt erreichen?
Ich glaube, er hat keine Chancen, irgendetwas zu erreichen. Aber dann muss man auch fragen: Gab es die je? Nachdem in Genf nur eine Willenserklärung auf den Weg gebracht wurde ohne einen klaren Fahrplan, wer wann welche Waffen abzugeben und welche Gebäude zur räumen hat, kann auch einen OSZE-Mission nicht viel erreichen. Ich habe Etherington nach dem Gespräch total frustriert erlebt. Es gab null Ergebnis. Positiv war aber immerhin, dass sie überhaupt miteinander gesprochen haben.
US-Vizepräsident Joe Biden ist zu einem Besuch in Kiew eingetroffen. Ein Grund zur Hoffnung?
Hier im Osten sehen die Menschen das so: Die ukrainische Regierung bekommt neue Anweisungen. Er kann aber auch nicht besonders viel bewegen, schätze ich. Die Regierung in Kiew ist überfordert und hat im Augenblick keinen Plan und keine Stategie. Sie agiert konfus. Zum Beispiel vergangene Woche, als erst ein Referendum in Aussicht gestellt und dann plötzlich eine Anti-Terror-Operation gestartet wurde.
Putin scheint die Lage richtig zu genießen, oder?
Absolut. Wie er in Moskau aufgetreten ist und erst sagte, wir haben keinen Einfluss auf die Milizen und später stimmt Außenminister Lawrow zu, genau diese Milizen zurückzuziehen - das passt nicht zusammen. Putin hatte in Genf übrigens noch einen Erfolg. Es wurde nicht über die Krim gesprochen - das könnte er irgendwann einmal als stillschweigende Akzeptanz der Annektion interpretieren. Putin ist der Einzige, der zurzeit einen Plan hat und immer zwei Schritte voraus ist.
Mit Dirk Emmerich sprach Volker Petersen.
Quelle: ntv.de