Der Kriegstag im Überblick Putin ordnet Teilmobilmachung an - Russland verhaftet mehr als 1000 Kriegsgegner
21.09.2022, 21:43 Uhr
Ein Mann, der gegen die Teilmobilisierung demonstriert, wird in Moskau festgenommen.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
Kreml-Chef Putin ordnet die Teilmobilisierung von Russen im wehrpflichtigen Alter an und droht dem Westen und der Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen. Protestierende, die nicht zum Krieg in der Ukraine eingezogen werden wollen, werden massenweise festgenommen. Kiew sieht durch die Drohungen die Zeit reif für mehr Waffenlieferungen. Der 210. Kriegstag im Überblick:
"Will nicht schießen müssen": Mehr als 1250 Festnahmen in Russland
Bei Protesten gegen die Teilmobilmachung in Russland steigt die Zahl der landesweiten Festnahmen auf 1250. Das erklärt die Organisation OVD-Info, die Festnahmen in Russland dokumentiert. Journalisten der Nachrichtenagentur AFP beobachten am Abend dutzende Festnahmen in der Hauptstadt Moskau und in der zweitgrößten Stadt St. Petersburg. Im Stadtzentrum von Moskau werden demnach allein mindestens 50 Menschen auf einer Einkaufsstraße festgenommen, insgesamt sollen es in der Hauptstadt rund 455 Menschen sein, wie aus einer Auflistung hervorgeht. In St. Petersburg kesselt die Polizei kleine Gruppen von Demonstranten ein und nimmt sie dann nacheinander alle fest. Dort soll es rund 500 Festnahmen geben. Die Demonstranten rufen "Nein zum Krieg" und "Nein zur Mobilmachung". "Alle haben Angst", sagt der Demonstrant Wassili Fedorow in St. Petersburg. "Ich bin für den Frieden, und ich will nicht schießen müssen."
Kuleba: Einzige Antwort auf Putins Drohungen - Unterstützung für Kiew verdoppeln
Angesichts der Drohungen von Russlands Präsident Wladimir Putin zum Einsatz von Atomwaffen im Ukraine-Krieg hat Kiew mehr Hilfe gefordert. "Die einzig angemessene Antwort auf Putins aggressive Drohungen ist, die Unterstützung für die Ukraine zu verdoppeln", erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Es brauche mehr Sanktionen gegen Russland und mehr Entschlossenheit, Moskau zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem forderte Kuleba mehr Waffen für die Ukraine und mehr Solidarität mit seinem Land.
Suchanfragen nach "Tickets", "Flugzeug", "Russland verlassen" schnellen in die Höhe
Mit der Aussicht in den Krieg ziehen zu müssen, hat es in Russland einen Ansturm auf Flugtickets für Auslands-Flüge gegeben. Laut der in Russland beliebten Buchungsseite Aviasales sind alle Direktflüge in die nächstgelegenen ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Georgien, Aserbaidschan und Kasachstan ausgebucht. Turkish Airlines teilte mit, dass es erst am Samstag wieder Plätze für Istanbul gebe, eines der wichtigsten Drehkreuze für Flüge aus und nach Russland. Der nächste AirSerbia-Flug nach Belgrad ist nach Angaben der serbischen Fluglinie erst wieder am Montag verfügbar. Selbst Inlandsflüge in Grenzstädte sind äußerst begehrt: Flugtickets von Moskau in die Stadt Wladikawkas an der Grenze zu Georgien etwa kosten heute über 750 Dollar - mehr als das Zehnfache des üblichen Preises. Laut dem Online-Dienst Google Trends werden die Suchbegriffe "Tickets" und "Flugzeug" seit dem frühen Morgen in Russland doppelt so häufig im Internet eingegeben wie sonst üblich.
Selenskyj: Russland laufen die Soldaten weg
Nach Meinung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zeigt die angekündigte Teilmobilisierung in Russland, dass Moskau Probleme mit seinem Militärpersonal hat. "Wir wissen bereits, dass sie Kadetten mobilisiert haben, Jungs, die nicht kämpfen konnten. Diese Kadetten sind gefallen. Sie konnten nicht einmal ihre Ausbildung beenden", sagte Selenskyj im Interview der "Bild"-Zeitung. Sie seien in die Ukraine gekommen, um zu sterben. Der russische Präsident Wladimir Putin brauche "eine millionenschwere Armee", sehe aber, "dass seine Einheiten einfach weglaufen", sagte Selenskyj weiter. Putin wolle "die Ukraine in Blut ertränken, aber auch im Blut seiner eigenen Soldaten."
Lambrecht: Ukraine bekommt Panzer aus Slowenien und Griechenland
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sieht auch nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung Russlands keinen Anlass für direkte Lieferungen von Kampfpanzern aus Deutschland an die Ukraine. "Die Ukraine wird jetzt sehr schnell Panzer geliefert bekommen, nämlich 40 Panzer aus Griechenland, 28 aus Slowenien, und Deutschland wird helfen, diese Lücken in den beiden Ländern dann zu schließen", sagte Lambrecht am Abend in der Sendung "ZDF spezial". Darüber hinaus werde die Ukraine weiterhin mit "sehr effektiven" deutschen Waffensystemen wie Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfern unterstützt - "jetzt mehr denn je". Für all diese Waffen sei keine weitere Ausbildung erforderlich, betonte Lambrecht. "Es ist ganz wichtig, dass die Ukraine jetzt Waffen bekommt, mit denen auch sofort gekämpft werden kann."
Scholz und EU sehen in Teilmobilisierung "Verzweiflung"
Bundeskanzler Olaf Scholz und die Europäische Union werteten die Ankündigung der Teilmobilmachung als Zeichen der "Verzweiflung". Mit den jüngsten Entscheidungen mache Russland "alles noch viel schlimmer", sagte Scholz weiter am Rande der UN-Vollversammlung in New York. "Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen", sagte der Kanzler. Putin habe die Situation von Anfang an "komplett unterschätzt". US-Präsident Joe Biden kritisierte zudem die "verantwortungslosen atomaren Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen. Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden." Außerdem habe Russland mit dem Angriffskrieg "schamlos" gegen die Kernprinzipien der UN-Charta verstoßen zu haben.
Selenskyj: Mit Panzer-Lieferung werden Menschenleben gerettet
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nochmals eindringlich an Deutschland appelliert, seinem Land Kampfpanzer zu liefern. "Gebt uns diese Waffen", sagte Selenskyj im Interview mit Bild TV. "Für uns bedeuten Kampfpanzer heute, dass mehr Menschenleben gerettet werden können", betonte der Präsident. Selenskyj ließ das Argument der Bundesregierung, nicht im Alleingang handeln zu wollen, nicht gelten. "Sie sind ein unabhängiger Staat. Wenn Sie uns diese Waffen nicht geben wollen, dann nichts für ungut, Sie haben Ihre Meinung. Aber sagen Sie nicht: zuerst USA, dann Polen und so weiter." Über die Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen debattiert auch der Bundestag am Donnerstagnachmittag.
Nawalny: Putin "wirft russische Bürger in den Fleischwolf"
Der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny hat bei einem Auftritt vor Gericht beklagt, dass der "verbrecherische Krieg" von Präsident Wladimir Putin immer schlimmere Ausmaße annehme. Putin wolle so viele Menschen wie möglich in das Blutvergießen in der Ukraine mit hineinziehen, sagte Nawalny bei einer Verhandlung, in der es um seine Rechte als Gefangener ging. "Um seine eigene Macht zu verlängern, zerfleischt er das Nachbarland, tötet dort Menschen. Und jetzt wirft er noch eine riesige Zahl an russischen Bürgern in den Fleischwolf", sagte Nawalny.
Putin kündigt mögliche Annexion ukrainischer Gebiete an
Putin hat die mögliche Annexion ukrainischer Gebiete mithilfe der Scheinreferenden in den besetzten Gebieten angekündigt. "Die Entscheidung, die die Mehrheit der Bürger in den Volksrepubliken Luhansk und Donezk, in den Gebieten Cherson und Saporischschja treffen, unterstützen wir", sagte Putin. Neben den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine wollen auch die von Russland besetzten Gebiete Cherson und Saporischschja im Süden über einen Beitritt zu Russland abstimmen lassen. Die zeitgleichen Scheinreferendum sollen vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Sie gelten als Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes.
Ukraine meldet nächtliche russische Angriffe auf AKW Saporischschja
Der ukrainische Betreiber des Atomkraftwerks Saporischschja hat Russland erneute Angriffe auf die Anlage vorgeworfen. Der nächtliche Beschuss habe eine Stromleitung beschädigt, mehrere Transformatoren im Reaktor 6 seien daraufhin ausgefallen und Notstromaggregate "kurzzeitig" angesprungen, teilte Energoatom im Messengerdienst Telegram mit. Die Strahlenbelastung in der Anlage sei jedoch auf normalem Niveau, und auch die radioaktiven Emissionen in die Umwelt seien unterhalb der Grenzwerte.
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Quelle: ntv.de, ysc/dpa/AFP/rts