Politik

Dröge zum Entlastungspaket "Putin spielt Games of Chicken"

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Zusammen mit Britta Haßelmann führt Katharina Dröge die Grünen-Bundestagsfraktion.

(Foto: picture alliance / photothek)

Eine ganze Nacht lang ringt die Ampel um ein Energiepreis-Entlastungspaket, das die Wünsche von SPD, Grünen und FDP zusammenbringt. Dass die Grünen Entlastungen für alle Autofahrer mittragen, sei die übrigen Beschlüsse allemal wert, sagt Fraktionschefin Dröge im ntv.de-Interview.

ntv.de: Sie haben in der Nacht zu Donnerstag sehr lange verhandelt über das zweite Paket zu Energiepreisentlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Was sind die größten Siege der Grünen in diesem Ringen?

Katharina Dröge: Es ist gut, wenn eine Koalition nicht von Siegen für einzelne Koalitionspartner spricht, sondern - und das ist ja auch wirklich gelungen - ein Gesamtpaket hinkriegt, das alle drei Koalitionspartner für ausgewogen und in der Sache richtig befinden. Uns war wichtig, dass das Paket einerseits sozial gerecht entlastet, also insbesondere diejenigen unterstützt werden, die es am dringendsten brauchen. Andererseits wollten wir ernst machen beim Thema Energieeffizienz. Wir müssen den Verbrauch dringend reduzieren, um unabhängig von russischem Gas und Öl zu werden. Dass beide Aspekte enthalten sind, ist aus unserer Sicht eine sehr gute Botschaft.

Dennoch ist die lange Nachtsitzung Ausdruck dessen, dass die Ausgangspositionen sehr weit auseinander gelegen haben. Können Sie da nicht einzelne Punkte nennen, von denen Sie sagen: "Da sind wir froh, dass wir das durchboxen konnten"?

Wir haben ein extrem umfangreiches Papier mit vielen Maßnahmen erarbeitet. Zwei Schwerpunkte, die wir gesetzt haben, sind erstens der Einstieg ins Klima- und Energiegeld. Wir haben vereinbart, dass wir das noch in diesem Jahr angehen werden. Vorher kommt kurzfristig die Transferzahlung der Energiepreispauschale von 300 Euro, die über die Einkommensteuer sozial gerecht gestaltet ist. Der zweite Schwerpunkt ist der gesamte Bereich der Energieeffizienz, hier konnten wir eine Reihe von Maßnahmen vereinbaren, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen und damit auch dem Ernst der Lage gerecht werden.

Sie sagen, es würden insbesondere diejenigen unterstützt, die es am meisten brauchen. Aber die Energiesteuersenkung erspart dem Luxus-SUV-Fahrer, der aus dem Umland in die Stadt pendelt, womöglich Hunderte Euro, der ÖPNV-Abonnent spart bestenfalls einen sehr niedrigen dreistelligen Betrag. Ist das verhältnismäßig?

Aus der Kombination unterschiedlicher Instrumente entsteht aus meiner Sicht ein sozial sehr ausgewogenes Paket. Da sind einmal die 300 Euro Energiepreispauschale, die alle Erwerbstätigen bekommen. Die wird von den Arbeitgebern ausgezahlt, aber weil sie der Einkommensteuer unterliegt, kriegen die, die am meisten verdienen, davon netto am wenigsten, und die, die am wenigsten verdienen, am meisten. Selbstständige erhalten die Pauschale durch Abzug bei der Steuervorauszahlung. Dadurch, dass wir das Energiegeld auf diesem Weg an alle Erwerbstätigen zahlen, können wir eine schnelle Auszahlung ermöglichen, die sonst nicht so leicht umsetzbar wäre.

Zusätzlich erhöhen wir die bislang geplante Einmalzahlung für Menschen in der Grundsicherung auf 200 Euro, und für jedes Kind werden wir 100 Euro ergänzend zum Kindergeld auszahlen. Schon letzte Woche haben wir auch den bereits im Februar beschlossenen Heizkostenzuschuss nochmal verdoppelt, den über das Bafög auch viele Studierende und viele Rentner über das Wohngeld erhalten. Auch bei der Mobilität entlasten wir die Menschen sozial gerecht. Neben der Absenkung der Energiesteuer bei Autos werden wir drei Monate lang ein Ticket einführen, mit dem der ÖPNV für nur neun Euro für den ganzen Monat genutzt werden kann.

Widerspricht es nicht dennoch grünen Überzeugungen, wenn der Porsche-Cayenne-Fahrer überproportional profitiert von der Mineralölsteuersenkung, während der ÖPNV-Fahrer ja eher überschaubar entlastet wird?

Der ÖPNV-Fahrer wird nahezu von all seinen Kosten entlastet, während derjenige, der mit dem Auto fährt, trotzdem weiterhin Spritpreise bezahlen muss. Wir werden ja keine Spritpreisbremse einbauen und den Spritpreis bei beispielsweise zwei Euro deckeln. Und klar, wir haben auch Kompromisse gemacht. Aber das Gesamtpaket stimmt.

Wie profitieren denn die ÖPNV-Abonnenten, die zum Teil schon für das gesamte Jahr gezahlt haben?

Hier wird Bundesverkehrsminister Volker Wissing, gemeinsam mit den Bundesländern, die das ja organisieren müssen, einen Vorschlag erarbeiten.

Hätte man ökologisch negative Effekte der Mineralölsteuersenkung nicht vermeiden können, wenn Sie über ein ebenfalls dreimonatiges Tempolimit oder autofreie Sonntage gesprochen hätten?

Natürlich ist es so, dass langsamer fahren den Verbrauch reduziert. Aber am Ende muss sich eine Koalition auf das einigen, was mit allen möglich ist.

Sie setzen auf Einspareffekte durch Ihre Initiativen für mehr Wärmeeffizienz und die Erhöhung des Neubaustandards. Wer derzeit bauen oder sanieren will, scheitert aber oft an horrenden Kosten und langen Wartezeiten, weil Technik nicht verfügbar ist, Baumaterial kaum oder nur zu hohen Preisen zu haben ist und Deutschland seit Jahren die Handwerker ausgehen. Wie wollen Sie unter diesen Umständen schnell Effekte erzielen?

Dass wir KFW 55 ab 2023 als Energieeffizienzstandard für den Neubau festlegen, sorgt dafür, dass Hausbesitzer künftig weniger Geld für Energie ausgeben müssen. Das ist ökonomisch sinnvoll, und viele Neubauprojekte entstehen auch jetzt schon mit diesem Standard. Natürlich gibt es im Baugewerbe Probleme mit Lieferkettenschwierigkeiten und Fachkräftemangel. Aber die liegen nicht an den Standards für die Energieeffizienz.

Wie groß ist denn das Paket insgesamt und wie wird es finanziert?

Der Bundesfinanzminister hat gesagt, dass dieses Paket mindestens eine ähnliche Größenordnung haben wird, wie das erste Entlastungspaket. Christian Lindner hatte ja schon mit der Verabschiedung der Eckwerte des Bundeshaushalts im Kabinett angekündigt, dass es einen Ergänzungshaushalt brauchen wird. Er wird die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr erhöhen. Wir befinden uns wegen der Corona-Pandemie bereits im Ausnahmebereich der Schuldenbremse in diesem Jahr. Mit dem Ergänzungshaushalt reagieren wir auf die zusätzlichen Belastungen durch den Ukraine-Krieg. Die Schuldenbremse ermöglicht es, für solche außerordentlichen Situationen auch die Kreditaufnahme zu erhöhen.

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Viele Entlastungen, die Sie beschlossen haben, zielen auf die Mittelschicht, die allen absehbaren Härten zum Trotz auch nicht unmittelbar vor dem Ruin steht. Muss die Koalition in Zeiten des Krieges nicht auch mal der Bevölkerung Zumutungen aufbürden, anstatt die Menschen mit der Aufnahme immer neuer Schulden einzulullen?

Die Menschen mit unteren und mittleren Einkommen werden durch die aktuelle Situation stark belastet, insbesondere mit Blick auf die Gaspreise, die in Deutschland jetzt noch nicht so intensiv diskutiert werden wie die Benzinpreise. Aber wenn Energieversorger die Abschläge neu berechnen werden, wird das erst über den Sommer bei den Verbrauchern ankommen. Und wer vor der Krise im Jahr 1000 Euro an Heizkosten bezahlt hat, könnte möglicherweise bald das Doppelte bezahlen. Das ist gerade für eine Familie im unteren Einkommensbereich, in der beide erwerbstätig sind und kein Wohngeld beziehen, eine sehr große Summe. Neben den Gas- und Spritpreisen, sind ja auch die Lebensmittelpreise gestiegen, da kommt einiges zusammen. Ein so schlagartiger Anstieg ist sehr wohl erheblich, und deswegen wollen wir da unterstützen.

… indem Sie neue Schulden aufnehmen. Gleichzeitig spricht die Ampelkoalition weder über eine Reform der Schuldenbremse, die Christian Lindner 2023 wieder einhalten will, noch über mögliche Mehrbelastungen für Spitzenverdiener und Vermögende oder gar über Ausgabenkürzungen. Muss sich nicht die von Bundeskanzler Scholz gepriesene Zeitenwende auch mal in der Haushaltspolitik abbilden?

Ich finde es richtig in einer Zeit, in der die Priese so stark steigen, die Bürger zu unterstützen und sie nicht mit den hohen Lebenshaltungskosten alleine zu lassen. Gleichzeitig ist es auch wichtig für den Fall einer sinkenden Wirtschaftsleistung oder bei schwerwiegenden Problemen in einzelnen Branchen der Wirtschaft Hilfen anzubieten. Wenn sich die außenpolitische Lage wieder stabilisiert hat und wir die Energieversorgungsfragen hoffentlich auch gelöst haben, dann werden wir auch wieder in eine andere ökonomische Situation kommen. Diese Koalition hat sich zwar grundsätzlich zur Schuldenbremse bekannt, aber zugleich haben wir immer gesagt, dass es in schwierigen Zeiten möglich sein muss zu handeln, damit die guten Zeiten schneller zurückkommen.

Rückt aus Ihrer Sicht das Rohstoffembargo gegen Russland näher, und wie wird das in Ihrer Partei diskutiert?

Wir werden mit Robert Habeck an der Spitze des Wirtschafts- und Klimaministeriums alles dafür tun, um so schnell wie möglich rauszukommen aus der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland. Robert Habeck hat dafür konkrete Daten genannt: bei Kohle im Herbst und bei Öl noch in diesem Jahr. Aber dafür müssen auch Infrastrukturfragen geklärt werden. Beim Öl laufen die Leitungen nach Ostdeutschland bisher aus Russland. Solche praktischen Transportfragen müssen gelöst werden, damit wir einen solchen Verzicht auf russische Importe auch dauerhaft durchhalten können. Dauerhaft unabhängig zu werden von russischen Importen, ist die härteste Sanktion, die es für Russland gibt.

Wie verändert sich diese Situation durch Wladimir Putins gestrige Ankündigung, dass Rohstofflieferungen künftig in Rubel bezahlt werden müssen?

Putins Ankündigung ist natürlich ein Problem. Wir werden das jetzt mit den europäischen Partnern bewerten, um darauf eine gemeinsame Antwort zu geben. Ich habe den Eindruck, Putin spielt so genannte Games of Chicken: Zwei Autos rasen aufeinander zu und wer zuerst zuckt, verliert. Da muss man einen kühlen Kopf bewahren.

Mit Katharina Dröge sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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