Politik

Seht her, alles fair! Putin streamt Wahl live im Netz

Wladimir Putin will vom Regierungschef- ins Präsidentenamt wechseln.

Wladimir Putin will vom Regierungschef- ins Präsidentenamt wechseln.

(Foto: REUTERS)

Präsidentschaftskandidat Putin schlägt in Russland viel Kritik entgegen. Über zwei Drittel der Menschen glauben nicht, dass es bei dem Urnengang Anfang März mit rechten Dingen zugehen wird. Der heutige Regierungschef will es beweisen - und stellt in allen Wahllokalen des Landes Webcams auf. Die Opposition schüttelt darüber nur mit dem Kopf.

Per Mausklick ins Wahllokal: Nach heftigen Fälschungsvorwürfen nach der russischen Parlamentswahl im Dezember sollen sich skeptische Wähler nun selbst ein Bild vom Ablauf machen können. Wenn das größte Land der Erde am 4. März einen neuen Präsidenten bestimmt, können Millionen Menschen zwischen St. Petersburg und Wladiwostok am Computer live dabei sein - durch Internetkameras in Wahllokalen. Doch Opposition und Experten kritisieren die Initiative von Regierungschef Wladimir Putin, der nach der Abstimmung in den Kreml zurückkehren will, als Augenwischerei und Geldverschwendung.

Es ist ein Mammutprojekt, mindestens 330 Millionen Euro kostet die Initiative. In einem Land, in dem für viele Menschen nicht einmal medizinische Grundversorgung garantiert ist. 600 Tonnen Elektronik mussten im Ausland eingekauft werden, weil Russland die Vernetzung der etwa 96.000 Wahllokale nicht alleine stemmen kann. Zur Verlegung der Glasfaserkabel bei minus 40 Grad Celsius wird mancherorts schwere Technik benötigt. Alles für eine faire Wahl - oder?

"Die geplanten zwei Kameras pro Wahllokal schließen Fälschungen nicht aus", meint Heidi Tagliavini. Die Schweizer Diplomatin leitet die OSZE-Wahlbeobachtermission. Beobachter wollen diesmal zu Tausenden in den Wahllokalen sein, um sich von einer ordnungsgemäßen Abstimmung zu überzeugen. Sie fürchten technische Mängel oder ein Fälschen der Protokolle, wenn die Internetkameras ausgeschaltet sind. Putin argumentiert aber, dass die Kameras Manipulationen verhindern.

Putins Kameraidee nicht neu

Alles nur Augenwischerei?

Alles nur Augenwischerei?

(Foto: dpa)

Dem widersprechen Computerexperten wie Jewgeni Bogera. "Die Aufzeichnungen sind leicht zu fälschen, da die verwendeten Kameras Datum und Uhrzeit nicht festhalten. Das wertlose Zeug, das Putin da ausgewählt hat, garantiert keine Echtheit", sagte Bogera dem Magazin "Itogi". Ähnlich sieht es der Multimilliardär und Kandidat Michail Prochorow. "Die Webcams überwachen die Wahl, aber beim entscheidenden Auszählen der Stimmen sind sie ausgeschaltet."

Schon einmal musste Putin, der bereits von 2000 bis 2008 im Kreml saß, für eine ähnliche Idee viel Kritik einstecken. Nach Waldbränden im Sommer 2010 ordnete er an, den Wiederaufbau zerstörter Häuser per Internetkameras überwachen zu lassen. Doch zu sehen seien "nur Wiesen und Felder, keine Arbeiten", wie eine Zeitung schrieb. Die Behörden räumten technische Probleme ein. Daraus habe man gelernt, sagt Vize-Telekommunikationsminister Ilja Massuch. Bei der Wahl könnten rund 60.000 User pro Kamera gleichzeitig die Übertragung sehen.

Zwei Drittel rechnen nicht mit fairer Wahl

Nötig sei, sich registrieren zu lassen, um ein Passwort zu erhalten, sagt Massuch. Die Behörden wollten "absolute Seriosität" - auch vor der Kamera, betont er. "Wer im Wahllokal Grimassen schneidet, muss mit einem Bußgeld rechnen." Die Fachjournalistin Olga Andronowa überzeugt das alles nicht. "In Wahllokalen etwa in Gefängnissen, Kasernen und Krankenhäusern wird keine Kamera stehen. Das heißt: Es wird viele blinde Flecken geben", schreibt Andronowa in einem Internetblog. Zudem hätten die Aufzeichnungen eine Gesamtdauer von fast 2500 Jahren. "Wer schaut sich das an?"

Opposition und Wahlbeobachter hatten bei der Parlamentswahl am 4. Dezember 2011 schwere Verstöße angeprangert. In einer Umfrage gaben jetzt 67 Prozent an, trotz Putins Initiative auch nicht mit einer fairen Präsidentenwahl zu rechnen, wie das Forschungsinstitut Lewada-Zentrum mitteilte. "Die Menschen wollen Reformen und einen Dialog der Regierung mit der Opposition", sagt Lewada-Vizechef Alexej Graschdankin. "Internetkameras können das nicht ersetzen."

Quelle: ntv.de, Wolfgang Jung, dpa

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