Linke vor der Europawahl Realos setzen sich durch
16.02.2014, 00:53 Uhr
Gregor Gysi gehört zu den Strippenziehern, die auf Platz zwei einen Pragmatiker durchsetzten.
(Foto: dpa)
Die Stimmung auf dem Parteitag der Linken ist mitunter hitzig. Die Flügel der Partei kämpfen um die Sicht auf die EU und um Plätze im Europaparlament. Die Lauteren sind dabei nicht die Mächtigeren.
Eigentlich hatte Sahra Wagenknecht gar nicht auf dem Parteitag sprechen wollen. Als sie es dann doch tat, ließ sie keinen Stein auf dem anderen. Die EU sei ein Lobbyistenclub von Banken und Konzernen. Die Bundesregierung betreibe mit der EU eine deutsche Großmachtpolitik. Damit es die Rede auch auf jeden Fall in die Nachrichten schafft, bezeichnete sie das System der EU gar als "Fassadendemokratie". Kann man sich ernsthaft an Wahlen beteiligen, die man für eine Showveranstaltung hält? Wagenknechts Kollegen legten nach. Einer nach dem anderen ging ans Podium und pöbelte laut gegen die EU, der Applaus war oft noch lauter.
Die Ultralinken mussten sich den Frust erst einmal von der Seele schreien. Wer von den offenen Grenzen schwärmte, wie das in den anderen großen deutschen Parteien ständig passiert, wurde nur von einem Teil der Delegierten beklatscht. Andere buhten. Den Antrag, die EU doch noch als "militaristisch" und "undemokratisch" zu bezeichnen, zogen die Wortführer des radikal-linken Flügels dann aber trotzdem zurück. Offensichtlich sahen sie keine Chance auf eine Mehrheit gegen den gemäßigten Flügel rund um Fraktionschef Gregor Gysi. Mit einigem Recht betonen sie nun aber, das Wahlprogramm sei immer noch scharf und EU-kritisch.
Inhaltlich schaffte es die Linke in Hamburg also, die Spaltung, die sich quer durch die Partei zieht, zumindest nicht in einer Kampfabstimmung münden zu lassen. Die radikalen dürfen auf die EU schimpfen, aber die Pragmatiker schleifen die Spitzen der Kritik zumindest etwas runder.
Spaltung bei personellen Fragen
Hinter dem Streit steht der große Grundkonflikt der Linken: Die einen wollen zumindest theoretisch irgendwann einmal an einer Bundesregierung beteiligt sein. Die andern lehnen das ganze Regierungssystem ab. Aus ihrer Sicht ist die Gesellschaft noch nicht bereit für den Sozialismus. Die anderen Parteien wünschten sich eine gezähmte, zahnlose Linke, sagt der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrke "Wenn wir so werden sollen, wie Gabriel ist, dann pfeife ich auf die Regierungsteilhabe." Bevor man über eine Regierungsbeteiligung spricht, müsse man den Neoliberalismus außerparlamentarisch schlagen, fordert ein Redner und bekommt kräftigen Applaus. Auf seinem T-Shirt steht "FCK SPD".
Bei den personellen Fragen war das Überdecken der Spaltung nicht mehr möglich. Es geht um die Bewerbungen für die Europawahl. Der 70-köpfige Bundesausschuss hatte zwar im Vorhinein eine Liste mit Empfehlungen aufgestellt, doch die Pragmatiker sahen sich zu schwach vertreten. Sie setzten eine eigene Liste auf. Die erste Kampfkandidatur gab es auf Platz zwei. Der Pragmatiker Thomas Händel sprach über prekäre Arbeitsverhältnisse und argumentierte dabei fast auf SPD-Linie. Der Ultralinke Tobias Pflüger bekam schon Applaus, bevor er mit seiner Rede begonnen hatte. Als er einen kämpferischen Wahlkampf versprach, johlten viele im Saal. Obwohl die Stimmung Pflüger zugeneigt schien, unterlag er schließlich mit 41 zu 59 Prozent.
Platz drei war für eine Frau reserviert. Der unterlegene Pflüger trat auf Platz vier an - gegen einen weiteren Pragmatiker, Helmut Scholz, der die EU sogar als "Chance zur Überwindung der Nationen" bezeichnete. Pflüger erhielt 42, Scholz 46 Prozent. Die Stichwahl und die weiteren Wahlen finden am Sonntag statt. Nach dem turbulenten Samstag lässt sich aber schon sagen: Der radikale Flügel der Linken sorgt für einigen Wirbel. Durchgesetzt hat sich bisher aber fast nur der pragmatische Teil der Partei.
Quelle: ntv.de