Laufzeit-Streit schwelt weiter Regierung dementiert Einigung
09.08.2010, 16:54 UhrDie Berichte über einen angeblichen Kompromiss in der Frage der Laufzeitverlängerung für Atommeiler sind für die Bundesregierung nichts weiter als Spekulation. Sie verweist auf das für den Herbst geplante Energiekonzept. Bis dahin hat die Union Zeit, die Streithähne in den eigenen Reihen auf Linie zu bringen.
Den Weg weist wohl erst das Energiekonzept.
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Die Bundesregierung hat einen angeblichen Kompromiss im Streit über längere Laufzeiten für Atomkraftwerke als Spekulation zurückgewiesen. Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) hatte berichtet, ältere Meiler sollten wegen neuer Sicherheitsanforderungen ab 2011 vom Netz genommen werden. Dafür sollten jüngere Anlagen deutlich länger laufen. Während die Regierung in der Frage weiterhin keine einheitliche Meinung vertritt, warnen Opposition und Umweltschutzverbände vor der Laufzeitverlängerung.
Das angekündigte Energiekonzept der Regierung, in dem die Zukunft der Atomenergie geklärt werden soll, wird wohl erst im Herbst unter Dach und Fach sein. Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans erklärte: "Der Fahrplan besagt, dass bis Ende August die Energieszenarien berechnet werden und bis Ende September das gesamte Energiekonzept der Bundesregierung ausgearbeitet werden wird." Die Sicherheit der Meiler stehe obenan. "Wir haben ja nie einen Zweifel daran gelassen, dass Sicherheit für uns der zentrale Maßstab ist."
Umweltministerium spielt auf Zeit
Der angebliche Kompromiss sieht nach SZ-Angaben so aus: Wenn alle 17 Reaktoren zusätzliche Strommengen für sechs oder acht Jahre erhielten, aber ältere Anlagen zugleich abgeschaltet würden, ließe sich deren Strommenge auf jüngere Anlagen übertragen - die deutlich mehr Laufzeiten bekämen als sechs oder acht Jahre. Nach dem jetzigen Atomgesetz ginge der letzte Meiler etwa 2025 vom Netz. Bereits jetzt können Laufzeiten von älteren auf jüngere Anlagen übergehen.
Das Umweltministerium sprach von Spekulationen und verwies auf das Energiekonzept. "Die Frage der Sicherheitsstandards wird ein wichtiger Punkt sein, wenn es um Laufzeitverlängerungen geht." Was dies für einzelne Kernkraftwerke bedeute, werde Teil des Konzepts.
Union uneins
Die Koalition ist in der Frage der Laufzeitverlängerung tief gespalten. Das Magazin "Spiegel" hatte am Wochenende berichtet, ein Bündnis aus schwarz-gelben Bundestagsabgeordneten, süddeutschen Ländern und dem Bundeswirtschaftsministerium wolle die Reaktoren im Schnitt um 14 Jahre länger laufen lassen. Dagegen unterstützten mehrere Unions-Ministerpräsidenten Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der kürzere Fristen anstrebt.
So hatte sich etwa der aus Baden-Württemberg stammende Fraktionschef Volker Kauder klar dafür ausgesprochen, Atomkraftwerke noch sehr lange nutzen zu wollen. "Wir brauchen eine angemessene Verlängerung der sicheren, deutschen Kernkraftwerke von mindestens 15 Jahren", betonte auch CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. "Die zuständigen Bundesminister tun gut daran, in dieser Frage den engen Schulterschluss mit den Koalitionsfraktionen zu suchen", sagte er dem "Hamburger Abendblatt".
Horst Seehofer hat vom Lavieren der Union in der Atomfrage offenbar genug.
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Die CDU-Ministerpräsidenten aus Niedersachsen und Saarland, David McAllister und Peter Müller, machten dagegen klar, dass sie neue lange Laufzeiten nicht mittragen werden. "Je kürzer, desto besser", sagte McAllister der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Atomenergie dürfe nur eine Übergangstechnologie hin zu erneuerbaren Energien sein. Müller wies darauf hin, dass den Atomkraftbefürwortern die Mehrheit im Bundesrat fehle. "Und ohne Zustimmung des Bundesrates - wie manche in Berlin und anderswo meinen - wird es eine deutliche Laufzeitverlängerung nicht geben", sagte er dem "Tagesspiegel".
CSU-Chef Horst Seehofer übte unterdessen einem "Focus"-Bericht zufolge im Parteivorstand scharfe Kritik an der Zerstrittenheit der CDU in der Frage der Energiepolitik. "Da gibt es drei Meinungen für eine Frage", soll Seehofer hinter verschlossenen Türen moniert haben. Nicht einmal Kanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtschef Ronald Pofalla und Röttgen hätten eine einheitliche Position in der Atomfrage.
Gabriel warnt Röttgen vor "Versagen"
Sigmar Gabriel hingegen freut sich über die Munition.
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Ganz anders dagegen die Opposition, die einmütig gegen die Regierung schießt. Für SPD-Chef Gabriel steht und fällt Umweltminister Röttgen mit dem Atomausstieg. Sollten sich die Südländer mit ihrem Wunsch durchsetzen, dann habe sein Amtsnachfolger "auf ganzer Linie versagt", urteilte Gabriel. "Ich glaube, dass das super-gefährlich ist, uralte Meiler 15 Jahre zu verlängern", sagte Gabriel in der ARD. Zudem warf er den Südländern atompolitischen Egoismus vor. Bayern und Baden-Württemberg verhinderten in ihren Bundesländern die Suche nach geeigneten Standorten für ein atomares Endlager, kritisierte Gabriel, der wie McAllister aus Niedersachsen kommt.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warnte ebenfalls davor, alte Meiler mit zusätzlichen Laufzeiten auszustatten. "Das ist ja das Absurdeste überhaupt", sagte der Ex-Umweltminister, in dessen Amtszeit der Atomausstieg mit der Energiewirtschaft vereinbart worden war. Schwarz-Gelb mache Klientelpolitik. Er kündigte an, längere Laufzeiten wieder kippen zu wollen, wenn seine Partei an die Regierung kommen sollte. Die Energieversorger dürften nicht damit rechnen, "dass dieser Liebesdienst nach der nächsten Bundestagswahl Bestand haben wird", erklärte Trittin im "Hamburger Abendblatt" an. Er spielt damit darauf an, dass SPD und Grüne derzeit in Umfragen klar vor der Union und FDP liegen.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace bekräftigte, die Abschaltung älterer Atomkraftwerke sei möglich und überfällig. Mit dem angeblichen Kompromissvorschlag erkenne die Bundesregierung an, "dass es bei deutschen AKW eklatante Sicherheitsmängel gibt", sagte Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl. Die Klima-Allianz, ein Bündnis von rund 100 Umweltverbänden, Gewerkschaften und Kirchen, sieht schon bei einer moderaten Laufzeitverlängerung eine Verdopplung der Reststrommenge: Dann blieben die Meiler bis 2050 erhalten, weil acht Jahre auf dem Papier mindestens 20 Jahre in der Praxis bedeuteten.
Quelle: ntv.de, rts/dpa