Politik

"Merkel betreibt Klientelpolitik" Ring frei im Bundestag

Höhepunkt der "Haushaltswoche" ist traditionell die sogenannte Generaldebatte. In dem Schlagabtausch rechnet die Opposition mit der Regierungspolitik ab. SPD-Chef Gabriel greift Regierungschefin Merkel scharf an: "Wenn Sie regieren, bedienen Sie im Wesentlichen Klientelinteressen". Merkel stellt klar, nur ihre Partei könne Themen wie Wirtschaft, Energie und Zuwanderung bewältigen.

Merkel macht sich Notizen, um auf die engagierte Rede Gabriels zu antworten.

Merkel macht sich Notizen, um auf die engagierte Rede Gabriels zu antworten.

(Foto: dpa)

Deutschland hat die Wirtschafts- und Finanzkrise nach Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel gut gemeistert. "Wir sind wieder auf Wachstumskurs", sagte Merkel in der Generalaussprache des Bundestages über die Regierungspolitik der schwarz-gelben Koalition. Zwei Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers sei "ein großes Stück des Weges geschafft". Deutschland sei wieder die Wachstumslokomotive Europas. "Wir haben gezeigt, was wirklich in uns steckt", sagte Merkel mit Blick auf die Opposition, die dies mit schallendem Gelächter quittierte.

Mit der sogenannten Generaldebatte hatte zuvor SPD-Chef Sigmar Gabriel die Regierung scharf angegriffen. "Wenn Sie regieren, bedienen Sie im Wesentlichen Klientelinteressen", warf Gabriel Union und FDP vor. Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, nannte Merkel eine "Kanzlerin der Lobbyisten". Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Schwarz-Gelb vor, die Koalition knicke vor Interessenverbänden ein.

Für Gysi ist Merkel eine "Kanzlerin der Lobbyisten".

Für Gysi ist Merkel eine "Kanzlerin der Lobbyisten".

(Foto: dpa)

Diesen Vorwurf wies die Kanzlerin energisch zurück. So sei die Entscheidung für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke ohne Alternative gewesen. Es habe keinen Sinn, aus ideologischen Gründen Atommeiler abzuschalten oder Kohlekraftwerke zu verhindern. Zudem habe sich ihre Regierung "das Laufzeit-Plus nicht abkaufen" lassen. Merkel kündigte an, dass die Regierung das Atommüll-Problem anpacken wolle. Die frühere rot-grüne Koalition habe sich ja darum nicht gekümmert.

Am Rande der Debatte im Bundestag stellte FDP-Generalsekretär Christian Lindner im Gespräch mit n-tv klar, dass das Bild der Haushaltspolitik der schwarz-gelben Regierung häufig verzerrt wiedergegeben werde. "Richtig ist, dass wir in diesem Herbst erstmals über die Bildungschancen von Kindern aus benachteiligten Familien sprechen. Der Eindruck, es würde bei Schwachen zuerst gespart, ist falsch. Im Gegenteil – wir tun was ganz konkret für Bildungschancen."

Integration und Multikulti

Bei seinem Frontalangriff auf die Politik der Bundesregierung hatte Gabriel zuvor vor wachsender Politik- und Parteienverdrossenheit gewarnt. "Meinungsfreiheit in Deutschland ist kein Deckmäntelchen für das verantwortungslose Gerede von Spitzenpolitikern - egal ob sie im Bundestag oder in der Bundesbank sitzen", sagte er. Gabriel warnte davor, mit Ressentiments Politik zu machen.

Die wachsende Kluft zwischen Bevölkerung und Politik habe viel mit dem Versagen der Politik und der Parteien zu tun, sagte Gabriel. So habe man in der Integrationsdebatte zu lange die Augen davor verschlossen, dass Deutschland längst Zuwanderungsland sei. Merkel räumte Fehler bei der Integrationspolitik ein. Man habe vielleicht zu lange von Gastarbeitern gesprochen. Beim "Gerede von Multikulti" sei aber zu lange versäumt worden, die Betroffenen zu fordern und zu fördern. Allein ihre Partei habe sich für die Integration von Zuwanderern in die Gesellschaft gekümmert. Die Opposition aus SPD, Grünen und Linke quittierte diesen Ausspruch Merkels mit langanhaltenden Zwischenrufen. 

Eine "katastrophale Bilanz"

Merkel musste für ihre Politik tüchtig einstecken.

Merkel musste für ihre Politik tüchtig einstecken.

(Foto: dpa)

Gabriel warf der schwarz-gelben Regierung wiederum "Versagen auf der ganzen Linie" vor. Die Bundesregierung blicke ein Jahr nach ihrem Start auf eine katastrophale Bilanz. "Wie konnte es dazu kommen, die eine Regierung derart heruntergekommen ist", fragte er in Richtung Merkels. Von Anfang an habe Schwarz-Gelb jede Vorstellung vom Gemeinwohl in Deutschland gefehlt. "Wenn Sie regieren, bedienen Sie im Wesentlichen Klientelinteressen", warf Gabriel Union und FDP vor.

Auch Gysi warf Merkel vor: "Sie verhandeln nur mit Lobbyisten. Das beschädigt die Demokratie in einem kaum vorstellbaren Ausmaß." Der Atom-Vertrag mit den Energiekonzernen sei verfassungswidrig.

Trittin hatte Schwarz-Gelb vorgeworfen, vor den Interessenverbänden einzuknicken.

Trittin hatte Schwarz-Gelb vorgeworfen, vor den Interessenverbänden einzuknicken.

(Foto: dpa)

Aus Sicht der Grünen ist Minister Philipp Rösler (FDP) bei den Gesundheitsplänen den Wünschen der privaten Krankenversicherer und der Pharmaindustrie gefolgt. "Das ist bezahlte Lobbypolitik zum eigenen und zum Teil ganz persönlichen Vorteil", sagte Trittin. Ein ähnliches Bild zeige sich in der Atompolitik. Trittin: "Sie, Frau Merkel, sind die Kanzlerin von RWE, Eon, EnBW und Vattenfall."

Lindner sprach bei n-tv von "Heuchelei" in dieser Debatte. "Die frühere rot-grüne Bundesregierung hat damals den Energiekonzernen einen politisch störungsfreien restlichen Betrieb zugesichert ohne finanzielle Forderungen zu stellen. Das ändern wir jetzt." Jetzt gebe es bei der Zusicherung längerer Laufzeiten auch finanzielle Forderungen gegen die Konzerne, und es gibt eine Verbesserung der Sicherheit. "Das macht einen konkreten Unterschied."

Vorschläge zum Schuldenabbau

Merkel hatte in ihrer Antwort auf Gabriels Rede dem SPD-Chef vorgeworfen, er habe zwar die Regierungspolitik kritisiert, aber selbst keine Vorschläge zum Schuldenabbau unterbreitet. Gabriel hatte seinerseits der Regierung abgesprochen, die "elementaren Wertvorstellungen in unserem Land" zu berücksichtigen. Es gebe aber durchaus andere Wege, die Schulden abzubauen und trotzdem Impulse für Bildung und Investitionen zu geben.

Im Gespräch mit n-tv verwies Trittin erneut auf die Sparvorschläge der Grünen, die sofort hätten umgesetzt werden können. Allein eine Milliarde Euro könnte eingespart werden, wenn man das Dienstwagenprivileg kippen würde. "Wir schlagen weiterhin vor, den Spitzensteuersatz für Großverdiener anzuheben auf 45 Prozent. Das bringt eine weitere Milliarde. Durch Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen könnten weitere acht, neun Milliarden Euro locker eingespart werden, ohne die Ärmsten zu belasten." Es komme darauf an, zu konsolidieren, aber auch zu investieren.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts

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