Zeitplan gefordert Rückzug aus Afghanistan
22.03.2008, 15:11 UhrKurz vor dem NATO-Gipfel in Bukarest haben Politiker der großen Koalition erstmals den Fahrplan für einen schrittweisen Rückzug aus Afghanistan zum Thema gemacht. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte, dem Land mehr Eigenverantwortung zu übertragen und die ISAF-Mission stufenweise zu reduzieren. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), sagte, in etwa fünf Jahren müsse der Zeitplan für einen stufenweisen Rückzug aus Afghanistan absehbar sein. Bei den traditionellen Ostermärschen mit tausenden Menschen in vielen Städten wurde auch das Bundeswehr-Engagement in Afghanistan kritisiert.
Die Regierung werde bei dem Gipfel Anfang April den Verbündeten keine Zugeständnisse wie etwa die Aufstockung der deutschen Truppe machen, sagte Schmidt. "Die Kanzlerin wird keine Tasche mit Geschenken dabei haben." Arnold zeigte sich indessen überzeugt, dass Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) in einem halben Jahr, wenn der Bundestag über die Verlängerung des Mandats für die internationale Schutztruppe ISAF entscheidet, doch noch einmal eine Aufstockung vorschlagen wird. Ab Herbst müsse Deutschland zunächst deutlich mehr leisten und die Ausbildung afghanischer Soldaten intensivieren, "damit man eine Perspektive für den Ausstieg hat".
Frankreich stockt Truppen auf
Die britische Zeitung "The Times" berichtete unterdessen, Frankreich werde beim NATO-Gipfel eine Verstärkung um rund 1000 auf 2900 Soldaten ankündigen. Die zusätzlichen Kräfte sollten im Osten oder Süden Afghanistans eingesetzt werden. Die dort engagierten NATO-Partner fordern seit Monaten Hilfe beim Kampf gegen Taliban-Rebellen. Deutschland hat nach den USA und Großbritannien das drittgrößte Kontingent und schöpft seine Obergrenze von 3500 Soldaten bereits voll aus.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy wolle mit der Truppenaufstockung sein Engagement im Kampf gegen die radikal-islamischen Taliban unterstreichen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf hochrangige Vertreter des Verteidigungsministerium in London. Französische Diplomaten betonten, dass die Entscheidung noch nicht endgültig getroffen sei.
Mehr Engagement bei der Ausbildung
Schmidt sagte: "Wir bleiben in unserem Verantwortungsbereich im Norden und werden uns künftig stärker bei der Ausbildung der afghanischen Armee engagieren ... Und wir erwarten, dass die NATO in Bukarest die von Deutschland weiterentwickelte vernetzte Sicherheit endgültig zu ihrem operativen Konzept erklärt." Die zivilen und die militärischen Komponenten müssten künftig besser ineinandergreifen.
Auf die Frage, ob die Regierung eine Ausstiegsstrategie habe, antwortete er: "Man muss immer auch an den Ausstieg denken. Das Konzept der vernetzten Sicherheit ist Teil einer solchen Exit-Strategie. Nur dadurch kann einmal die Verantwortung für Afghanistan dem Land selbst komplett übergeben werden."
Kein schneller Ausstieg
Arnold sagte: "Ein schneller Ausstieg ist falsch, aber ein Zwischenschritt ist nötig." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse diese Debatte in Bukarest konkret anstoßen. "Wir müssen aufpassen, dass durch die Forderungen der USA und anderer NATO-Staaten nicht der falsche Eindruck entsteht, das militärische Engagement werde sich zwangsläufig über einen sehr langen Zeitraum erstrecken. Wir brauchen einen Stufenplan, der eine Rückführung ermöglicht." In einzelnen Gebieten sei die Entwicklung inzwischen friedlich. Sie könnten komplett an die Afghanen übergeben werden.
FDP-Fraktionsvize Birgit Homburger sagte zu Forderungen von Demonstranten nach einem sofortigen Abzug der Truppen aus Afghanistan, das Land würde dann "in Chaos, Unrecht und Unterdrückung" zurückfallen. Es sei naiv zu glauben, der Wiederaufbau Afghanistans wäre nach der Schreckensherrschaft der Taliban ohne Militärpräsenz möglich gewesen. Der frühere UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, sagte dem Sender hr-iNFO, zum Schutz der Menschenrechte müsse der Westen jetzt vor allem die Polizei im Land unterstützen. Nur so könnten die Aufstände bekämpft und ein Scheitern der NATO in Afghanistan verhindert werden.
Quelle: ntv.de