Politik

Geiseldrama in Moskau Russische Truppen fahren auf

Das Geiseldrama in Moskau mit 675 Menschen in der Gewalt tschetschenischer Rebellen hat am Abend neue Dimensionen erreicht. Russland beorderte Truppen in die Hauptstadt, um "Objekte zu schützen". Der Inlandsgeheimdienst FSB schließt weitere Aktionen der Rebellen nicht aus.

Die Lage in dem von rund 50 Kidnappern belagerten Theater hatte sich am Abend mit dem Tod einer 20-jährigen Geisel dramatisch zugespitzt. Die Frau sei in einem Handgemenge getötet worden, hieß es. Die Todesursache sei ein Einschuss in den Oberkörper gewesen. Bereits am Morgen hatten die Rebellen mitgeteilt, sie hätten eine FSB-Agentin und einen Polizisten beim Eindringen in das Gebäude erschossen. Eine offizielle Bestätigung lag auch hier nicht vor.

Anschließend gelang zwei Geiseln die Flucht aus dem belagerten Theater. Die Geiselnehmer hatten mehrere Granaten auf die Flüchtenden abgeschossen, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete. Eine der flüchtenden Frauen sei verletzt worden.

Laut FSB haben Vertreter von Präsident Wladimir Putin Verhandlungen mit den Kidnappern aufgenommen. Details sind noch nicht bekannt. Am Abend durften erstmals Kamerateams des russischen Fernsehens das Gebäude betreten. Die rund 50 Rebellen fordern ein Ende des Krieges in Tschetschenien sowie den Abzug der russischen Streitkräfte aus ihrer Heimat im Kaukasus.

Inzwischen haben die Terroristen ihre Geiseln nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit getrennt. Männer und Frauen seien in verschiedene Räume eingeschlossen worden, teilte der Krisenstab vorort am Donnerstagabend mit. Ukrainer und andere Ausländer seien zudem von den russischen Gefangenen abgesondert worden.

Bitten von Behörden, die Geiseln mit Lebensmitteln zu versorgen wurden nach Angaben des FSB abgelehnt. Die Terroristen hätten erklärt, wenn sie selber hungern müssten, dann sollten die Gefangenen das auch tun. Die Geiseln hätten seit Beginn des Dramas nur von Wasser und Schokolade gelebt. In dem Theater sollen sich noch immer zahlreiche Kinder befinden, die dringend Medikamente und Lebensmittel bräuchten.

Putin verdächtigt Hintermänner im Ausland

Putin vermutet die Hintermänner der Geiselnahme im Ausland. Die Gewalttat sei "in ausländischen Terrorzentren geplant worden", sagte der Präsident in einer ersten öffentlichen Stellungnahme. "Dieselben Leute, die die Anschläge auf Bali organisiert haben, haben die Geiselnahme in Moskau geplant ". Die indonesischen Behörden gehen davon aus, dass die Fundamentalistenorganisation Jemaah Islamiyah hinter den Explosionen auf Bali steht, bei denen am 12. Oktober mehr als 180 Menschen getötet worden waren. Die Jemaah Islamiyah soll Verbindungen zum Terrornetzwerk El Kaida haben.

Nach Angaben des FSB befinden sich insgesamt 75 Ausländer unter den Geiseln. Die Anzahl der deutschen Geiseln ist weiter unklar. Auf einer vorläufigen Liste führt der Moskauer Krisenstab vier Deutsche auf. Der russische Geheimdienst sprach indes von bis zu sieben deutschen Gefangenen. Das Auswärtige Amt bestätigte am Donnerstag, bei drei bislang bekannten Fällen handele es sich um Frauen aus Niedersachsen und Bayern und einem Mann aus Baden-Württemberg.

Des weiteren befinden sich laut FSB 23 Ukrainer, fünf Aserbaischaner, vier US-Bürger, drei Briten, drei Georgier, drei Letten, drei Türken, zwei Australier, zwei Schweizer, zwei Niederländer, ein Kanadier, ein Armenier sowie ein Bulgare und ein Moldawier in der Gewalt der Kidnapper. Einige Nationalitäten wurden nicht aufgeschlüsselt.

Geiselnehmer: "Wir werden Hunderte töten!"

Die Geiselnehmer sind nach eigenen Angaben bereit, als "Märtyrer" zu sterben. In zwei Video-Botschaften, die der arabische TV-Sender El Dschasira ausstrahlte, erklären nacheinander ein Mann und fünf verschleierte Frauen, sie hätten sich zu dieser Aktion in Russland entschlossen, um damit ein Ende des Krieges in Tschetschenien und einen Rückzug der russischen Truppen zu erreichen. "Jeder einzelne von uns ist bereit, dafür als Märtyrer zu sterben und hunderte Ungläubige töten", sagte einer der Angehörigen der Gruppe, die sich selbst als tschetschenische Märtyrer-Brigade bezeichnete. Selbst wenn sie bei der Geiselnahme sterben sollten, so stünden Tausende weiterer "Märtyrer " bereit, fügte sie hinzu.

Sieben Tage Frist

Die Rebellen setzten der russischen Führung eine siebentägige Frist zur Erfüllung ihrer Forderungen. Innerhalb dieser Zeit müsse die Frage des Abzugs der russischen Truppen aus der abtrünnigen Kaukasus-Republik Tschetschenien geklärt werden. Andernfalls werde das Gebäude ebenso gesprengt wie bei einem Versuch der Sicherheitskräfte, die Halle zu stürmen.

Reaktionen aus Deutschland

Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte in einem Schreiben an Putin seiner Bestürzung zum Ausdruck. Seine Gedanken seien bei den Betroffenen. Außenminister Joschka Fischer erklärte in Brüssel: "Wir sind entsetzt und schockiert über den barbarischen Terroranschlag. " Auch die EU verurteilte die Geiselnahme aufs Schärfste.

Quelle: ntv.de

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