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Der Kriegstag im Überblick Russland zieht Truppen um Kiew ab - Der Westen bleibt misstrauisch

Trümmer nach einem Angriff auf eine Fabrik in Vyshneve bei Kiew. Infolge der Verhandlungen sehen britische Behörden jedoch einen Rückgang der Bombardements.

Trümmer nach einem Angriff auf eine Fabrik in Vyshneve bei Kiew. Infolge der Verhandlungen sehen britische Behörden jedoch einen Rückgang der Bombardements.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Die heutigen Verhandlungen enden mit einer Annäherung. Die Ukraine macht Russland ein konkretes Angebot. Moskau verspricht im Gegenzug, die Kampfhandlungen im Norden zu verringern. In Kiew macht sich das offenbar schon bemerkbar, anderorts gehen die Kämpfe weiter. Derweil telefonieren Macron und Putin erneut. Der 34. Kriegstag im Überblick.

Ukraine bietet Neutralität gegen Sicherheitsgarantien

Bislang verliefen die Gespräche zwischen ukrainischen und russischen Unterhändlern weitgehend ergebnislos. Die heutigen Verhandlungen in Istanbul lassen jedoch auf einen Wendepunkt in Richtung Deeskalation hoffen. Denn Russland kündigte an, seine Kampfhandlungen an der nördlichen Front zurückzufahren. Nach den rund vierstündigen Verhandlungen sagte der russische Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin, "um das Vertrauen zu stärken", sei die "radikale" Reduzierung der militärischen Aktivitäten Russlands bei Kiew und Tschernihiw beschlossen worden.

Hintergrund der Entscheidung ist ein Vorstoß der Ukraine für ein neues System für Sicherheitsgarantien. Formuliert sein sollten sie ähnlich wie der Artikel fünf des NATO-Vertrages. Demnach sind die Mitglieder des Militärbündnisses zum sofortigen militärischen Beistand im Falle eines Angriffs auf einen der Partner verpflichtet. Für die Ukraine werde die Türkei als einer der möglichen Hauptgaranten gesehen. Zu weiteren Ländern, die Sicherheitsgarantien geben könnten, könnten Israel, Polen und Kanada gehören. Wenn ein solches System stehe, werde die Ukraine einem neutralen Status zustimmen und auf einen NATO-Beitritt verzichten. Das würde auch umfassen, dass es keinen ausländischen Militärstützpunkt auf ukrainischem Gebiet geben werde.

Im Gegenzug für die Zugeständnisse an Moskau wolle die Ukraine jedoch die Möglichkeit eines EU-Beitritts aushandeln, wie es vom russischen Unterhändler Wladimir Medinski hieß. "Die Russische Föderation hat keine Einwände gegen Bestrebungen der Ukraine, der Europäischen Union beizutreten."

Beim Thema der Gebietsabtretungen gab es dagegen kaum Annäherung. Diese seien für Kiew "weiter indiskutabel", sagte das ukrainische Delegationsmitglied David Arachamija. "Wir erkennen nur die Grenzen der Ukraine an, die von der Welt mit Stand 1991 anerkannt sind." Aber man habe vorgeschlagen, mit Russland Beratungen über den Status der Krim über die nächsten 15 Jahre zu führen.

Das Echo aus dem Westen auf die Gespräche war derweil verhalten. "Ich habe nichts gesehen, das nahelegt, dass das auf effektive Art vorwärtsgeht, weil wir keine Zeichen wirklicher Ernsthaftigkeit gesehen haben", sagte US-Außenminister Antony Blinken. "Es gibt das, was Russland sagt, und das, was Russland tut", fügte er hinzu. "Wir konzentrieren uns auf Letzteres." Die Reaktion aus Großbritannien fiel ähnlich skeptisch aus. Ein Regierungssprecher sagte: "Wir werden Putin und sein Regime an seinen Taten messen und nicht an seinen Worten".

Rückzug um Kiew - Beschuss in mehreren Landesteilen

Tatsächlich scheint es kurz nach den Verhandlungen so auszusehen, als würde Russland seine Ankündigung in die Tat umzusetzen: Der ukrainische Generalstab teilte mit, im Gebiet um die Hauptstadt Kiew und die nordukrainische Großstadt Tschernihiw werde der Abzug einzelner russischer Einheiten beobachtet. Auch Großbritannien erkennt einen Rückgang der Bombardements auf die Hauptstadt. Aus US-Kreisen hieß es aber, es handele sich um eine "Umgruppierung, nicht einen Abzug". Vielmehr müsse sich die Welt auf weitere russische Großoffensiven in anderen Teilen der Ukraine einstellen.

Anderorts gingen die Kampfhandlungen ungehindert weiter. In der südukrainischen Hafenstadt Mykolaiw wurden nach Angaben von Präsident Selenskyj bei einem russischen Raketenangriff auf ein Verwaltungsgebäude mindestens sieben Menschen getötet. 22 Menschen seien verletzt worden.

Von russischer Seite hieß es zudem, in der nordwestlichen Region Riwn sei ein großes Treibstofflager der ukrainischen Streitkräfte mit Marschflugkörpern zerstört worden. Eine ähnliche Meldung gab es aus der Westukraine: In der Stadt Starokostjantyniw sei der Militärflughafen angegriffen und die dortigen Treibstoffvorräte vollständig zerstört worden. Der Bürgermeister der Stadt, Mykola Melnytschuk, sagte dazu: "Wir werden seit dem ersten Tag des Krieges mit Raketen beschossen, aber heute (...) war der Angriff sehr ernst und hat erheblichen Schaden verursacht." Demnach wurden die gesamten Treibstoffvorräte der Stadt zerstört.

In der schwer umkämpften Hafenstadt Mariupol hält die ukrainische Armee nach Angaben des britischen Militärgeheimdienstes weiter das Zentrum der Hafenstadt. In mehreren Gebieten nordwestlich von Kiew sei es der ukrainischen Armee zudem gelungen, russische Truppen zurückzudrängen. Es gebe aber weiter die Gefahr eines Beschusses der Hauptstadt. Die humanitäre Lage vor Ort scheint sich derweil immer weiter zu verschlechtern. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty international prangerte Kriegsverbrechen in der Stadt an. Russland greife "gezielt" zivile Einrichtungen an und verwandle Fluchtrouten in "Todesfallen".

Putin und Macron sprechen über Mariupol und Gaslieferung

Über die Situation in Mariupol haben sich laut Kremlangaben auch Präsident Putin und sein französischer Kollege Emmanuel Macron ausgetauscht. Macron habe bei Putin angesichts der katastrophalen humanitären Lage in der Stadt auf die Notwendigkeit eines Waffenstillstands für die Versorgung und Evakuierung der Bevölkerung gepocht, hieß aus dem Élyséepalast in Paris. Putin habe zugehört und zugesichert, über den Vorstoß nachzudenken und sich bei Macron zurückzumelden. Zudem sei es in dem Gespräch um eine Zahlung von Gaslieferung in Rubel gegangen. Dies sei nicht möglich, habe Macron laut Angaben des französischen Präsidialamts Putin gegenüber verdeutlicht.

Tschetschenenführer Kadyrow soll in Mariupol sein

Der berüchtigte tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow soll sich in Mariupol aufhalten. Das belegt angeblich ein Foto, welches von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti veröffentlicht wurde. Es zeigt Kadyrow mit rund 20 tschetschenischen Kämpfern. Das russische Fernsehen zeigte zudem Bilder, auf denen angeblich zu sehen war, wie Kadyrow in Mariupol mit Generalleutnant Andrej Mordwitschew zusammentraf. Dieser ist einer der Generäle, die nach Angaben der ukrainischen Behörden bei den Kämpfen getötet wurden. Bei den Aufnahmen handelt es sich nach Angaben des Verifizierungsteams von ntv um Mordwitschew, der Zeitpunkt lässt sich jedoch nicht verifizieren.

Kickboxer-Champion Kagal getötet

Bei den Kampfhandlungen im Mariupol ist offenbar der ehemalige ukrainische Kickbox-Weltmeister Maksym Kagal gestorben. Das bestätigte sein Trainer. Kagal habe die Stadt als Teil des Asow-Regiments verteidigt und sei bereits am Freitag gefallen, schrieb Oleh Skyrta. Der 30-jährige Kagal stammte aus der ukrainischen Stadt Krementschuk und hatte 2014 die Kickbox-Weltmeisterschaft des ISKA-Verbands gewonnen - als erster Ukrainer.

Westliche Staatschefs telefonieren

Derweil tauschte sich Bundeskanzler Scholz erneut in einer Telefonkonferenz mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsidenten Macron, dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi über ein gemeinsames Vorgehen aus. Sie bekräftigten, die Ukraine weiterhin unterstützen zu wollen und forderten Präsident Putin abermals dazu auf, seine Truppen abzuziehen. Auch müsse Russland humanitäre Hilfe in der Ukraine zulassen. Bei der Besprechung sei auch abgesprochen worden, mit welcher Botschaft Macron sich direkt im Anschluss an Putin wenden sollte.

Viele Deutsche haben Angst vor drittem Weltkrieg

In Deutschland hingegen bleibt die Kriegsangst groß. Knapp die Hälfte der Bundesbürger befürchtet, dass sich die Kampfhandlungen zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO ausweiten und in einen "dritten Weltkrieg" münden könnten. 48 Prozent teilen aktuell diese Befürchtung im RTL/ntv-Trendbarometer, 44 Prozent tun das nicht.

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Quelle: ntv.de, mdi/dpa/AFP/rts

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