Politik

Sternstunde und Spannungen SPD in der Wende uneins

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht auf dem Festakt mit den damaligen Vorsitzenden von SPD Ost und West Hans-Jochen Vogel (r.) und Wolfgang Thierse.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht auf dem Festakt mit den damaligen Vorsitzenden von SPD Ost und West Hans-Jochen Vogel (r.) und Wolfgang Thierse.

(Foto: dapd)

Vor 20 Jahren wurde aus der SPD Ost und West wieder eine Partei. Die Uneinigkeit der Genossen in der Frage der staatlichen Einheit kostete sie aber viele Sympathien beim Volk - und Wählerstimmen.

Vielen der mehr als 500 Delegierten standen Tränen der Rührung in den Augen. Auf ihrem ersten gemeinsamen Parteitag seit 58 Jahren reichten sich Sozialdemokraten aus Ost und West am 27. September 1990 die Hände. Mit der Verabschiedung eines gemeinsamen Manifests eine Woche vor der staatlichen Einheit im Internationalen Congress Centrum in Berlin wurde die älteste deutsche Partei wieder vereint.

Dem Zusammenschluss, an den die SPD mit einem Festakt erinnerte, gingen hektische Aktivitäten voraus. Drei Parteitage innerhalb von zwei Tagen waren aus organisatorischen Gründen nötig. Zunächst berieten in getrennten Sitzungen die West-SPD und die immer noch jungen ostdeutschen Sozialdemokraten, die sich erst knapp ein Jahr zuvor formiert hatten. Deren ursprüngliche Absicht scheiterte, im "Palast der Republik" der damals noch gerade existierenden DDR zu tagen, weil das Gebäude wegen Asbestverseuchung kurzfristig geschlossen wurde.

"Großer Tag" für die SPD

Willy Brandt ging nach der blamablen Bundestagswahl 1990 mit Lafontaine hart ins Gericht.

Willy Brandt ging nach der blamablen Bundestagswahl 1990 mit Lafontaine hart ins Gericht.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Einen "großen Tag für die Sozialdemokraten" nannte der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt in einer bewegenden Rede den Akt. Damit beginne jetzt "ein neuer Abschnitt sozialdemokratischen Wirkens und Mühens auf deutschem Boden". Als erster gesamtdeutscher Parteichef nach dem Zweiten Weltkrieg betonte Hans-Jochen Vogel, die Sozialdemokraten gründeten sich nicht neu und fusionierten auch nicht wie andere Parteien. "Die SPD beendet einen Zustand, der durch die Zwangsvereinigung mit der KPD zur SED entstanden ist", rief er unter großem Beifall in den Saal.

Wolfgang Thierse, der letzte Vorsitzende der DDR-SPD, meinte, der kleine Ost-Ableger komme aufrechten Ganges zu den Genossen im Westen. Was man einbringen wolle, sei auch die "gemeinsame Erfahrung des Scheiterns einer großen Idee in einer schlimmen Verwirklichungsgeschichte", erklärte Thierse, der zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden der Gesamtpartei gewählt wurde.

Mit friedlicher Revolution überfordert

Auch wenn viele Sozialdemokraten heute im Rückblick von einer Sternstunde sprechen, schon auf dem Kongress selbst wurden Spannungen und Risse spürbar. Oskar Lafontaine, der auf dem Parteitag zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde, blendete in seiner knapp einstündigen Rede das Thema der bevorstehenden Einheit fast völlig aus. Der saarländische Ministerpräsident bestritt seinen Auftritt vor allem mit heftigen Attacken auf den damaligen Kanzler Helmut Kohl.

Schon in den Monaten davor hatte sich gezeigt, dass vor allem die "Generation der Enkel" Brandts in der SPD mit der friedlichen Revolution von 1989 im Osten ziemlich überfordert war. Auch als der innere Zerfall des DDR-Systems immer deutlicher wurde, weigerten sich SPD-Politiker wie Lafontaine oder Heidemarie Wieczorek-Zeul, aber auch ältere Parteifreunde wie Egon Bahr, sich von der bisherigen SPD- Deutschlandpolitik, die auf den Dialog mit der SED setzte, schnell zu verabschieden. Es folgte eine Kette von Fehleinschätzungen.

Als Pfarrer und Bürgerrechtler zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 im brandenburgischen Schwante die SDP (Sozialdemokratische Partei in der DDR) gründeten, wurde die SPD-Spitze in Bonn davon völlig überrumpelt. Erst nach längerem Zögern rollte organisatorische Hilfe an. Bei der Frage, ob die Ost-SPD in eine große Koalition unter Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) eintreten sollte, gab es einen heftigen Streit mit den Genossen aus dem Westen. Ebenso bei der von der Ost-SPD befürworteten schnellen Einführung der D-Mark, der sich insbesondere Lafontaine massiv widersetzte. Diese Haltung kostete die Sozialdemokraten wahrscheinlich den erhofften Sieg bei der Volkskammerwahl.

Verliererin der Einheit

Die geballte Quittung für ihren uneinigen Kurs in der Phase der Einigung erhielt die SPD am 2. Dezember 1990, als sie mit 33,5 Prozent ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1957 einfuhr. Einen Tag später kam es in den Führungsgremien zu harten Auseinandersetzungen, bei der Brandt mit dem Vorgehen Lafontaines und seiner Gefolgsleute abrechnete.

Machtpolitisch wurde die SPD so zur Verliererin der Einheit. Nach Ansicht von Zeithistorikern haben es maßgebende Sozialdemokraten in diesen Monaten versäumt, sich am ostdeutschen Wunsch nach der Einheit zu orientieren, was der Partei viele Sympathien und möglicherweise auch die Mehrheitsfähigkeit in den neuen Ländern eingebracht hätte. Eine Aufarbeitung dieses Kapitels ist in der SPD in den vergangenen Jahren nur langsam in Gang gekommen.

Lediglich 22.000 Mitglieder zählt die SPD heute in den neuen Ländern. Von den einst bekannten Namen aus der Ost-SPD ist kaum noch jemand auf der politischen Bühne aktiv. Dazu gehören Bundestags-Vizepräsident Thierse und Christoph Matschie in Thüringen. SDP-Mitgründer wie Markus Meckel, Stephan Hilsberg oder Steffen Reiche sind inzwischen aus dem Bundestag ausgeschieden. Der vor knapp einem Jahr gestorbene Ibrahim Böhme, der auch in Schwante dabei war und Anfang 1990 zum Vorsitzenden der DDR-SPD aufstieg, flog kurz nach seiner Wahl als besonders aktiver Stasi-Spitzel auf.

Quelle: ntv.de, Joachim Schucht, dpa

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