Auf Landesebene im Osten Wagenknecht macht Koalitionen von Ukraine-Haltung abhängig
29.07.2024, 11:50 Uhr Artikel anhören
Zuständig sind die Länder nicht für Ukraine-Fragen, Wahlkampf wird trotzdem damit gemacht - nicht nur vom BSW.
(Foto: IMAGO/Jacob Schröter)
Sahra Wagenknecht ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für sofortige Verhandlungen des angegriffenen Landes mit Russland. Wer nach den bevorstehenden Landtagswahlen mit ihrer Partei koalieren will, muss diese Haltung teilen.
BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht macht Koalitionen in Ostdeutschland auch von der Haltung der Partner zum Krieg in der Ukraine abhängig. "Wir werden uns nur an einer Landesregierung beteiligen, die auch bundespolitisch klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung bezieht", sagte die Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht. Denn es sei klar, "dass ein neues Wettrüsten Milliarden verschlingt, die dringend für Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen und höhere Renten gebraucht werden".
Im September werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Die Wagenknecht-Partei BSW stellt dabei neben Bildung und Migration auch das Thema Frieden in den Mittelpunkt - und findet in den drei Ländern mit Umfragewerten von 15 bis 20 Prozent viel Anklang. Auch die AfD greift das Thema auf. Beide Parteien sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für sofortige Verhandlungen der Ukraine mit Russland.
"Die Friedensfrage ist sehr wichtig", sagte Wagenknecht. "Viele Menschen sind zu Recht beunruhigt, weil die Bundesregierung unser Land immer mehr zur Kriegspartei im Ukraine-Krieg macht und bisher jedes Bemühen um diplomatische Lösungen vermissen lässt." Sie kritisierte auch die Ankündigung, 2026 US-amerikanische Raketen in Deutschland zu stationieren. Bundeskanzler Olaf Scholz befürwortet dies als Reaktion auf eine wachsende russische Bedrohung.
Politologe: Strategisch klug
Im Osten befürchten nach Angaben aus dem diesjährigen Allensbach-Sicherheitsreport 76 Prozent der Befragten, dass Deutschland in einen militärischen Konflikt hineingezogen werden könnte. Im Westen sind es nur 44 Prozent. Russland sehen bundesweit 75 Prozent der Befragten als große Gefahr für den Frieden - im Osten sind es mit 53 Prozent deutlich weniger.
Umgekehrt die Sicht auf die USA: 40 Prozent der Befragten im Osten werten die Vereinigten Staaten als besonders große Gefahr, bundesweit hingegen nur 24 Prozent. Unterschiede im Russland-Bild der Deutschen in Ost und West habe es zwar auch vor dem Ukraine-Krieg gegeben, sagt der Politologe Oliver Lembcke, der in Jena promoviert hat und heute in Bochum lehrt. Sie seien aber nicht besonders groß gewesen. "Mit dem Angriffskrieg ändert sich das, und die Schere geht auf." Die Einstellungen würden nun schärfer zu denen Westdeutscher kontrastiert. Zudem gebe es in Ostdeutschland mehr Unsicherheiten. "Und jetzt kommen zwei Parteien, die diese Unterschiede und dieses Unsicherheitsgefühl befeuern", sagt Lembcke. Strategisch sei das klug.
Kriegsangst rührt von Kaltem Krieg her
Die Historikerin Katja Hoyer, die aus Guben in Brandenburg stammt und heute in Großbritannien lebt, sagt: "Kriegsangst spielt aus meiner Sicht im Osten eine größere Rolle als Antiamerikanismus oder eine prorussische Haltung", sagt die Historikerin Hoyer. Wurzeln sieht sie im Kalten Krieg. "Viele Ostdeutsche sind damit aufgewachsen, dass die NATO die Bedrohung ist, mit ihrer Politik, die auf Abschreckung abzielt. Es wurde der Bevölkerung in der DDR von klein auf beigebracht, dass ein Krieg jederzeit ausbrechen könnte. Das scheint viel tiefer verankert zu sein als im Westen."
Das sieht die sächsische BSW-Chefin Sabine Zimmermann ähnlich. "Die Menschen öffnen uns am Wahlstand ihre Herzen und sagen, dass sie existenzielle Angst haben und hoffen, wir als neue Partei können dagegen was tun", sagt die 63-Jährige. Ostdeutsche hätten ein feines Gespür dafür, dass sie von vielen im Westen - auch von den Medien - in ihren Ängsten nicht ernst genommen würden. "Da besteht schon die Sorge, dass ein medialer Mainstream ähnlich wie 2015 in der Migrationsfrage legitime Sorgen und Ängste einfach platt bügelt."
Thüringens AfD-Vize Torben Braga sagt, Bürger unterschieden nicht zwischen den Zuständigkeiten auf Bundes- oder Landesebene. Die AfD spüre, "dass es für unsere Wähler und für viele Bürger ein Thema ist, das sie intensiv bewegt". Daher fließe es in den Landtagswahlkampf mit ein.
Ramelow verteidigt Orbans Ukraine-Gespräche
Zuletzt ließ auch Thüringens Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow aufhorchen. Er spricht sich zwar - anders als BSW und AfD - für Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Wie die beiden anderen Parteien verteidigt er aber ausdrücklich die Gespräche von Ungarns Regierungschef Viktor Orban in Russland und China zum Ukraine-Krieg.
Sein Amtskollege in Sachsen, CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, gilt mit seinen beharrlichen Rufen nach mehr Diplomatie und einem Einfrieren des Krieges in der CDU als Sonderling, scheint in seiner Bevölkerung damit aber einen Nerv zu treffen. Während die AfD keine Partner hat, könnte das BSW sowohl in Sachsen als auch in Thüringen Teil einer künftigen Regierung werden. In Thüringen ist nach Umfragen sogar denkbar, dass die junge Partei die Ministerpräsidentin stellt. Thüringens BSW-Co-Chef Steffen Schütz sagt, Frieden gehöre zum Markenkern des BSW. "Wenn wir das auf dem Altar des politischen Geschäfts opfern, dann haben wir es auch nicht verdient, wiedergewählt zu werden."
Da stecke Konfliktpotenzial für ein Bündnis BSW/CDU, weiß der Politikwissenschaftler Lembcke. Unlösbar sei das aber nicht. "Seit längerer Zeit ist es für die CDU ein Lichtblick, wie sie überhaupt die Machtfrage beantworten kann", sagt der Experte. "Deshalb wird man sich Mühe geben, an dem Thema vorbeizufahren." Gelingen könne das womöglich, indem man schlicht auf die fehlende Zuständigkeit bei dem Thema auf Länderebene verweist.
Quelle: ntv.de, chl/dpa