Politik

Moskau "schützt" Provinzen Scharfe Worte aus Berlin

In der Kaukasuskrise spitzt sich der Konflikt zwischen Russland und dem Westen weiter zu. Ungeachtet scharfer internationaler Warnungen erkannte der russische Präsident Dmitri Medwedew die Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien an. Zugleich sicherte der Kremlchef beiden Gebieten auch militärischen Beistand zu. Seine Zusammenarbeit mit der NATO will Russland mindestens für ein halbes Jahr aussetzen.

Georgien protestierte gegen die Anerkennung der Unabhängigkeit, die auch international auf deutliche Kritik stieß, und nannte den Beschluss völkerrechtswidrig. Präsident Michail Saakaschwili rief sein Land zum "friedlichen Widerstand" gegen Russland auf. In Südossetien und Abchasien kam es zu Freudenkundgebungen, jubelnde Menschen schwenkten russische Fahnen.

EU verurteilt Moskauer Beschluss

Die Europäische Union verurteilte den Beschluss Moskaus entschieden und mahnte eine "friedliche Lösung der Konflikte in Georgien" an. Die Anerkennung stehe "im Widerspruch zu den Prinzipien der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität Georgiens", erklärte die EU-Ratspräsidentschaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte das russische Vorgehen "absolut nicht akzeptabel". Noch vor dem EU-Sondergipfel am kommenden Montag in Brüssel werde sie den direkten Kontakt zu Russland suchen.

"Bedauerliche Entscheidung"

US-Außenministerin Condoleezza Rice nannte die Entscheidung Moskaus bedauerlich. Die beiden abtrünnigen Regionen seien Teile Georgiens und würden dies auch bleiben, sagte Rice. UN- Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte den russischen Schritt ungewöhnlich offen. Dies könne weitreichende Folgen für die Sicherheit und Stabilität im Kaukasus haben, ließ Ban in New York erklären.

Provinzen vor "Aggressionen schützen"

In seiner vom Staatsfernsehen übertragenen Ansprache sagte Kremlchef Medwedew, Südossetien und Abchasien müssten vor weiteren möglichen Aggressionen aus Georgien geschützt werden. "Das ist die einzige Möglichkeit, das Leben der Menschen dort zu schützen." Die Anerkennung sei keine leichte Entscheidung gewesen. Aber es sei in diesem Moment der einzig mögliche Schritt. Medwedew rief andere Länder auf, der Entscheidung Russlands zu folgen.

Zusammenarbeit mit NATO auf Eis

Nachdem die NATO zuvor ihre Kontakte mit Russland im NATO-Russland-Rat auf Eis gelegt hatte, setzte Medwedew die Zusammenarbeit mit der NATO vorläufig aus. Davon betroffen sei ein für Mitte Oktober geplanter Besuch von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in Moskau. Er solle "besser verschoben werden", sagte der Vertreter Russlands bei der NATO, Dmitri Rogosin. Das NATO- Informationsbüro in Moskau werde aufgefordert, seine Arbeit einzustellen. Moskau plane allerdings nicht, sein Territorium als Nachschubroute für die NATO-Truppe ISAF in Afghanistan zu sperren.

"Saakaschwili wählt den Völkermord"

Medwedew folgte mit seiner Entscheidung, die er am Abend UN-Generalsekretär Ban schriftlich mitteilte, einer Resolution des russischen Parlaments, das am Montag die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens gefordert hatte. Er wiederholte die schweren Vorwürfe gegen die georgische Staatsführung. "Saakaschwili hat den Völkermord gewählt, um seine politischen Aufgaben zu lösen", sagte er. Mit dem Angriff georgischer Truppen auf Südossetien am 8. August seien die letzten Hoffnungen der Menschen in Südossetien und Abchasien auf ein friedliches Zusammenleben in einem gemeinsamen Staat zerstört worden.

Kritik des Westens wegen angeblicher Verstöße gegen den mit Frankreich ausgehandelten Sechs-Punkte-Plan für den Südkaukasus wies Medwedew in einem Interview des englischsprachigen Nachrichtensenders "Russia Today" zurück. "Russland hatte alle Verpflichtungen erfüllt", sagte der Kremlchef. Sein Land wünsche keine neue Konfrontation mit dem Westen. "Wir haben vor nichts Angst, auch nicht vor einem neuen Kalten Krieg. Aber wir wollen keinen."

Warnung vor "Spiel mit dem Feuer"

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einem leichtfertigen Spiel mit dem Feuer - "auf allen Seiten". In einem Gastkommentar für die "Bild"-Zeitung sagte er: "Die Spirale der Provokationen muss aufhören, und zwar sofort! Sonst kann die Lage schneller außer Kontrolle geraten als wir glauben." Sein britischer Kollege David Miliband warf Medwedew vor, die Krise in Georgien weiter anzuheizen. Er werde an diesem Mittwoch in die Ukraine reisen, um "eine größtmögliche Koalition gegen den russischen Angriff" zu versammeln.

Auch Schwedens Außenminister Carl Bildt sprach von einem "Spiel mit dem Feuer im Kaukasus". "Russland hat den Weg der Konfrontation mit Europa gewählt. Das wird langfristige und tiefgreifende Konsequenzen für das Land selbst und für uns haben", sagte Bildt. Italiens Außenminister Franco Frattini äußerte bei allem Bedauern auch Verständnis: "In Russland schwelte eine Frustration, die jetzt leider explodiert." Der Westen habe den Fehler begangen, Russland zu erniedrigen. Zugleich bedauerte er im Parlament von Rom den Schritt Moskaus, der die derzeitige Lage noch weiter kompliziere.

Zustimmung in den Provinzen

Die Präsidenten Südossetiens und Abchasiens, Eduard Kokojty und Sergej Bagapsch, dankten "Russland und dem russischen Volk" für die Anerkennung. "Das ist ein historischer Tag für unser Volk", sagte Bagapsch der Agentur Interfax. Seit Monaten hatten beide Gebiete immer wieder betont, sie forderten für sich das gleiche Recht auf Unabhängigkeit wie die ehemals serbische Provinz Kosovo.

Südossetien und Abchasien hatten sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in Bürgerkriegen Anfang der 90er Jahre von Georgien abgespalten und für unabhängig erklärt. Nach dem georgischen Angriff Anfang August waren russische Einheiten ins Nachbarland einmarschiert und hatten vorübergehend Teile des georgischen Kerngebietes besetzt. Russland kontrolliert derzeit weiter eine Pufferzone um die abtrünnigen Gebiete. Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR zeigte sich besorgt über Berichte von marodierenden Milizen in der Region und warnte von neuen Flüchtlingsströmen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen