Politik

Drohendes Parteiverbot Schicksalstage für Türkei

Nach den Bombenanschlägen in Istanbul sind die wegen des möglichen Verbots der Regierungspartei AKP ohnehin hohen politischen Spannungen in der Türkei weiter gestiegen. Am Sonntag waren in einem Arbeiterviertel der Metropole zwei Bomben explodiert. Dabei wurden nach offiziellen Angaben 17 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt. Die Behörden haben die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK in Verdacht, die aber jede Verantwortung für die Anschläge strikt von sich weist.

Die Anschläge ereigneten sich unmittelbar vor dem ersten Beratungstag der türkischen Verfassungsrichter. Das Gericht hat am Montag seine Beratungen über ein mögliches Verbot der AKP aufgenommen. Die über zwölfstündige Sitzung endete am Abend ohne Ergebnis, die Fortsetzung wurde für Dienstag angekündigt. Beobachter rechneten mit einer Entscheidung bis Mitte der Woche.

Welt schaut auf die Türkei

Mit Spannung warten türkische Politiker, die EU und ausländische Unternehmen auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts. Die Kontroverse über das Verbot der Partei, der die Ankläger islamistische Tendenzen in dem nach eigenem Verständnis weltlichen Land vorwerfen, hat die Türkei tief gespalten. Für eine Auflösung der AKP, die dem EU-Beitrittskandidaten und Nato-Mitglied umfassende Reformen verordnet hat, müssen sieben der elf Verfassungsrichter stimmen.

Monatelange Krise

Seit Monaten schwelt in der Türkei eine schwere innenpolitische Krise. Die AKP auf der einen Seite sowie Opposition und Armee auf der anderen streiten um die von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk verfügte Trennung von Staat und Religion. Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya hatte vor dem Prozess gesagt, es gebe "eine klare und gegenwärtige Gefahr, dass die AKP das Scharia-Recht einführen möchte". Die Staatsanwaltschaft will neben einem Parteienverbot erreichen, dass Erdogan, Präsident Abdullah Gül sowie 69 weitere AKP- Führungskräfte sich nicht mehr politisch betätigen dürfen. Die elf Richter werden bis zu einer Entscheidung täglich verhandeln. Sie haben drei Möglichkeiten: den Fall abzulehnen, dem Antrag stattzugeben oder die staatliche Finanzierungshilfe für die Partei zu streichen.

Sollte die AKP verboten werden, wird die Regierung aufgelöst und das Parlament voraussichtlich im November neu gewählt. Die AKP-Abgeordneten erhalten im Fall eines Verbots ihrer Partei den Status unabhängiger Parlamentarier, die entweder eine neue Partei gründen oder sich bestehenden Organisationen anschließen können.

Streitpunkt Kopftuchverbot

Der Berichterstatter des Gerichts hatte vor zwei Wochen seinen Kollegen empfohlen, die Partei nicht zu verbieten. Sie nutze lediglich die Meinungsfreiheit. Die Staatsanwaltschaft stützt sich in ihrer Anklage in erster Linie auf Äußerungen Erdogans. So hatte der Regierungschef gefordert, das Kopftuch sowohl als religiöses als auch als politisches Symbol in den Hochschulen zuzulassen. Im Februar 2008 fiel auf Initiative der AKP das Kopftuchverbot, bis es vier Monate später vom Verfassungsgericht wieder eingeführt wurde. Damit dürfen Frauen, die Kopftücher tragen, vorerst weiter nicht Universitäten betreten.

Der Staatsanwalt wirft Erdogan außerdem vor, die türkischen Frauen am Weltfrauentag aufgefordert zu haben, mindestens drei Kinder zu bekommen. Zudem habe er angedeutet, im Zweifel auch eine Abspaltung des Kurdengebiets im Nordosten des Landes billigen zu wollen. AKP-Versuche, Alkoholkonsum nach islamischen Vorbild in der Öffentlichkeit zu verbieten, werden von der Staatsanwaltschaft ebenfalls genannt. Die AKP hatte bei den Wahlen im vergangenen Jahr 47 Prozent der Stimmen geholt.

Verbot gleich Staatskrise?

"Eine Regierung, die von 47 Prozent der Bevölkerung gewählt wurde, kann nicht einfach aufgelöst werden. Das kann die Türkei dem Ausland nicht erklären", gab der Politikprofessor Hüseyin Bagci von der Technischen Universität in Ankara zu bedenken. Erdogan selbst könnte bei der vorgezogenen Wahl als unabhängiger Bewerber antreten und bei einem Sieg die neue Regierung bilden, was für neue Spannungen zwischen säkularen und religiösen Kräften sorgen dürfte.

PKK hinter Anschlägen?

Bei einem Besuch des Tatorts im Stadtteil Güngören in Istanbul rief Ministerpräsident Erdogan wegen des Verfahrens gegen seine Partei zur nationalen Einheit auf. "Unser Problem ist nicht das AKP-Verbot. Gegenwärtig besteht das Problem darin, unsere Einheit zu wahren, damit das Land in eine andere Richtung gehen kann", sagte der Regierungschef. Zugleich nannte er zwar die PKK nicht ausdrücklich als Drahtzieher der Istanbuler Anschläge, deutete dies aber klar an: "Wenn man ihnen einen Namen gibt, macht man Propaganda für sie." Unmittelbar nach dem Anschlag hatten schon die Sicherheitsbehörden die PKK bezichtigt.

Die Kurdenorganisation wies die Vorwürfe zurück. "Dies ist ein dunkles Ereignis... Dieses Ereignis hat keinerlei Verbindung zum Kampf der Kurden für Freiheit", sagte der Leiter der politischen Sektion der PKK, Zubeyir Aydar. "Sie können keinerlei Verbindung mit der PKK herstellen", zitierte die mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei verbundene Nachrichtenagentur Firat den früheren Abgeordneten weiter.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen