Pleiten, Pech und Pannen Schlechter Start für Rot-Rot
18.01.2002, 09:35 UhrIn Berlin hat der neue rot-rote Senat, der am späten Donnerstagabend nach einem beispiellos dramatischen Wahlmarathon im Abgeordnetenhaus vereidigt worden war, seine Arbeit aufgenommen. Damit wird die deutsche Hauptstadt zwölf Jahre nach dem Mauerfall erstmals von der SED-Nachfolgepartei PDS mitregiert.
Aus Protest gegen die Koalition mit der PDS zerschnitten Mitglieder der SPD vor der Bundeszentrale der Partei ihre Parteibücher. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel warf der SPD vor, sie habe die Verhandlungen mit FDP und Grünen platzen lassen, um Rot-Rot installieren zu können.
Gysi bittet um Hilfe
Ex-PDS-Chef Gregor Gysi übernahm die Amtsgeschäfte von der bisherigen Wirtschaftssenatorin Juliane von Friesen, die als parteilose Senatorin für die Grünen angetreten war. Bei der symbolischen Schlüsselübergabe demonstrierte Gysi vor der versammelten Belegschaft der Wirtschaftsverwaltung Bescheidenheit: "Ich bitte Sie um Loyalität, ich bitte Sie auch um Hilfe, ich bitte Sie um Unterstützung", sagte der neue Wirtschaftssenator.
"Ich weiß, dass ich Befürchtungen und Ängste abbauen muss", so Gysi in Anspielung auf das vielfach gegenüber seiner Partei geäußerte Misstrauen. Dennoch gab sich der PDS-Politiker optimistisch. "Wir alle arbeiten für diese Stadt".
SPD-Landeschef Strieder abgestraft
Am Vorabend war es bei der Wahl zum neuen Senat zu einem Eklat gekommen: SPD-Landeschef Peter Strieder erreichte im ersten Wahlgang für das Amt des Stadtentwicklungssenators nicht die erforderliche Mehrheit. Ihm fehlten mindestens acht Stimmen aus dem eigenen Lager. Nach kurzer Auszeit passierte er den zweiten Durchgang schließlich mit 75 zu 65 Stimmen.
Gegen Strieder waren zuvor Vorwürfe laut geworden, er habe privat in einen umstrittenen Immobilien-Fonds der in Schieflage geratenen Bankgesellschaft Berlin investiert. Zudem waren die Frauen und die Ost-Berliner innerhalb der SPD unzufrieden, weil sie sich im neuen Senat drastisch unterrepräsentiert sehen.
Wahlbetrug und Protest
Überschattet wurde die Wahl auch vom Vorwurf des Wahlbetrugs. Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) gab an, ein amtierender Beisitzer der CDU hätte beobachtet, wie PDS-Fraktionschef Harald Wolf bei der Wahl von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zwei Stimmzettel eingeworfen haben soll. Wolf wies den Vorwuf als "ungeheuerlich" zurück. Die Wahl Sarrazins wurde wiederholt. Er schnitt im zweiten Wahlgang mit 73 Ja-Stimmen bei 65 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen um fünf Stimmen besser ab als im ersten Durchgang.
Der teils heftige politische Streit im Abgeordnetenhaus war bestimmt von der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der SED-Nachfolgepartei PDS. CDU und FDP warfen den Sozialdemokraten Tabubruch und Verrat an der Geschichte vor. Der ehemalige Kultursenator Christoph Stölzl (CDU) warnte, mit der PDS komme eine Partei zurück an die Macht, die früher ein Bollwerk der Unfreiheit gewesen sei. Wowereit hielt dagegen: "Wir sind im Jahr 2002 und im Jahr zwölf nach der Wiedervereinigung angekommen. Das heißt, dass Ost und West zusammenwachsen und wir das als Chance sehen."
Quelle: ntv.de