Weichen auf Streik gestellt Schlichtung gescheitert
27.03.2008, 12:56 UhrNach dem Scheitern der Schlichtung im öffentlichen Dienst stehen die Zeichen auf Streik. Verdi-Chef Frank Bsirske kündigte in Friedrichshafen an, er werde der Tarifkommission empfehlen, eine Urabstimmung für Streiks einzuleiten. Das Gremium trete am Freitag zusammen. Sollten die Gremien zustimmen, könnte die Urabstimmung am 1. April beginnen, Arbeitsniederlegungen am 12. April.
Bsirske nannte die Schlichtungsempfehlung "in dieser Form nicht akzeptabel". Er betonte: "Die Weichen stehen auf Streik." Er sei "nicht sonderlich optimistisch", dass sich die Arbeitgeber in Potsdam noch bewegten. Der Vorschlag bedeutet nach Bsirskes Ansicht weiteren Reallohnverlust und "eine Fortsetzung der Politik zulasten der Arbeitnehmer". Längere Arbeitszeiten kosteten zudem Arbeitsplätze. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Bildungsgewerkschaft GEW werteten den Spruch als nicht akzeptabel. Der Vorsitzende der dbb-Tarifunion, Frank Stöhr, forderte die Arbeitgeber auf, "ihre Arbeitszeitideologie in die Mottenkiste zu packen".
Sechs Prozent in zwei Jahren
Die Schlichtungskommission hatte gegen die Stimmen der Gewerkschaftsvertreter insgesamt sechs Prozent mehr Einkommen für zwei Jahre, Einmalzahlungen und längere Arbeitszeiten im Westen vorgeschlagen. Das teilten die Schlichter mit, die unter Vorsitz des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) und des früheren Hannoveraner Oberbürgermeisters Herbert Schmalstieg (SPD) an einem geheimen Ort in Friedrichshafen getagt hatten.
Der Schlichterspruch erging kontrovers mit einer Mehrheit von 13 zu 12 Stimmen. Die Kommission ist mit je 12 Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften besetzt. Kommt es zu keiner Einstimmigkeit, gibt das Votum des stimmberechtigten Schlichters den Ausschlag. Dies war diesmal der von den Arbeitgebern ernannte Späth.
Finanziell mutig
"Wir haben jetzt einen Vorschlag vorgelegt, den ich für sehr mutig halte - auch vom finanziellen Umfang her", sagte Späth in Friedrichshafen. Er rief die Gewerkschaften zum Einlenken auf. Die Suche nach einer einvernehmlichen Lösung sei trotz jüngster Vorschläge in der Nacht zunächst gescheitert, sagte er. Unter anderem wegen geplanter Arbeitszeitverlängerungen von einer halben bis einer Stunde habe die Gewerkschaftsseite in der Kommission nicht zugestimmt. "Wir haben uns redlich bemüht", so Späth. Die Arbeitnehmervertreter sollten sich den Schlichtervorschlag nun nochmals ansehen.
Nach dem Vorschlag der Schlichter soll das Einkommen im Westen zum 1. April 2008 um vier Prozent und im Osten ab 1. August 2008 ebenfalls um vier Prozent steigen. Zum 1. Januar 2009 schlägt die Kommission eine zweiprozentige Erhöhung für alle 1,3 Millionen Tarifangestellten des Bundes und der Kommunen vor.
Arbeitszeitverl ängerung im Westen
Im Westen soll laut Schlichterspruch die Arbeitszeit in den Kommunen um eine Stunde und im Bund um eine halbe Stunde auf 39,5 Wochenstunden angehoben werden. In den Ost-Kommunen soll es bei der 40-Stunden-Woche bleiben. Außerdem sieht die Kommission eine Einmalzahlung von 450 Euro zum April 2008 für die mittleren und unteren Einkommensgruppen vor. Im Juli 2009 soll eine weitere Einmalzahlung von 450 Euro für alle folgen.
Über den Schlichterspruch wollen die Tarifparteien am Wochenende in Potsdam verhandeln. Bei einem Scheitern droht ein flächendeckender Streik. Ver.di und die dbb Tarifunion, die erstmals gemeinsam verhandeln, wollen acht Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200 Euro im Monat. Die Arbeitgeber boten zunächst fünf Prozent für zwei Jahre bei einer Anhebung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden bundesweit an.
Finanzministerium begrüßt Schlichterspruch
Das Bundesfinanzministerium appellierte an die Tarifparteien, sich nun rasch zu einigen und den Tarifkonflikt beizulegen. Obwohl der Vorschlag weit über das Angebot der Arbeitgeber vom 24. Januar hinausgehe, stelle er "einen vernünftigen Kompromiss dar, den wir mittragen können", erklärte das Ministerium. Für die Arbeitnehmer komme es zu einer deutlichen Lohnsteigerung. Ganz wichtig sei zudem, dass die vollständige Ost-West-Angleichung beim Bund bereits für den 1. April 2008 vorgesehen sei.
Dieser massiven Verbesserung stehe eine moderate Erhöhung der Wochenarbeitszeit gegenüber. "Niemand würde verstehen, wenn es auf dieser Basis bei den Tarifverhandlungen nicht schnell zu einer Einigung im Interesse der Arbeitnehmer kommen würde", hieß es in der Erklärung des Finanzministeriums.
Sch äuble bedauert
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die ablehnende Reaktion der Gewerkschaften als bedauerlich und unverständlich bezeichnet. "Die Empfehlung verlangt den öffentlichen Arbeitgebern erhebliche Zugeständnisse ab", teilte Schäuble in Berlin mit. Der Schlichterspruch sei nur tragbar durch die ebenfalls vorgeschlagene Erhöhung der Wochenarbeitszeit. Hier bleibe die Einigungsempfehlung hinter der Forderung der Arbeitgeberseite zurück.
Schäuble appellierte an die Gewerkschaften, den Schlichterspruch im Hinblick auf die anstehende Verhandlungsrunde in Potsdam am 29. März 2008 nochmals zu überdenken. Der Deutsche Städtetag appellierte ebenfalls an die Tarifpartner, sich zu einigen. Erst am Wochenende in Potsdam wird sich entscheiden, ob das Schlichtungsverfahren wirklich gescheitert ist. Eine Folge wären dann Urabstimmungen und wahrscheinlich flächendeckende Streiks im öffentlichen Dienst.
DRK-Warnstreik in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz sind Hunderte Beschäftigte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in den Warnstreik getreten. Ein ver.di-Sprecher rechnete mit rund 600 Teilnehmern. Die Notfallrettung werde von den Protesten nicht beeinträchtigt, es könne aber zu Verzögerungen bei Krankentransporten und beim Blutspenden kommen.
Kundgebungen waren in Ludwigshafen, Koblenz und in Bad Kreuznach geplant. Auch im Saarland hat ver.di die DRK-Mitarbeiter zu Protesten aufgerufen.
Quelle: ntv.de