Umweltminister zu EU-KehrtwendeSchneider sieht "keine Ausreden mehr für die Autoindustrie"
Der SPD-Umweltminister will im Aus vom Verbrenner-Aus keinen Rückschritt für den Klimaschutz sehen - dabei hatte er selbst noch vor wenigen Monaten darauf gepocht, am Verbrenner-Aus 2035 festzuhalten. Im ntv Frühstart kündigt Schneider mehr Geld für die Elektromobilität an.
Lange hatte sich Bundesumweltminister Carsten Schneider gegen das Aus vom Verbrenner-Aus gewehrt. Noch im Oktober war seine Position klar: Um die E-Mobilität voranzubringen, brauche es Planungssicherheit und Verlässlichkeit, sagte der Sozialdemokrat beharrlich. Jetzt muss er die Position Deutschlands in der EU für eine Lockerung des Verbrenner-Aus verteidigen: "Das, was die Industrie in Deutschland, aber auch die Gewerkschaften immer gefordert haben: Flexibilität im Übergang, das gibt es jetzt. Jetzt gibt es aber auch keine Ausreden mehr", sagt Schneider in der ntv Sendung Frühstart. Er fordert: "Dann muss jetzt auch der Standort gesichert werden, die Arbeitsplätze und auch die zukünftigen Technologien."
Am Dienstag hatte die EU-Kommission Änderungen an den EU-Flottengrenzwerten vorgeschlagen. Diese Obergrenzen legen fest, wie viel Kohlendioxid (CO2) alle Neuwagen eines Herstellers pro Jahr im Schnitt ausstoßen dürfen. Ursprünglich sollten sie 2035 um hundert Prozent - also auf Null - sinken. Die Kommission schlug nun vor, stattdessen eine Senkung um 90 Prozent im Vergleich zu 2021 vorzuschreiben. Damit hätten Autobauer künftig Spielraum und könnten eine Reihe von Hybrid-Fahrzeugen, Range-Extendern, bei denen ein kleiner Verbrenner die Batterie auflädt, und herkömmliche Verbrenner verkaufen.
Die Klimaschutzwirkung bleibe erhalten, sagt Umweltminister Schneider im Frühstart. Die meisten Experten und Umweltverbände bezweifeln das. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) wiederum kritisierte die Lockerung des Verbrenner-Aus als "Lippenbekenntnis", weil es nicht weit genug gehe. Schneider hält der Kritik aus Industrie und Umweltverbänden eine neue Initiative entgegen, damit mehr Menschen mit kleinem Einkommen Elektroautos kaufen können. "Ich werde jetzt in Kürze vorstellen können ein Programm mit 3 Milliarden Euro zusätzlich - nicht im Koalitionsvertrag vereinbart - zusätzlich herausgehandelt für Elektromobilität, um auch Leuten, die nicht ganz so viel Geld haben, das möglich zu machen."
Schneider widerspricht Merz
Ärger haben Schneider und die Bundesregierung mit den Umwelt- und Naturschutzbünden auch wegen weiterer Beschlüsse der schwarz-roten Koalition. Das Kabinett beschloss am Mittwoch das Infrastrukturzukunftsgesetz. Das Gesetz räumt dem Neubau von Straßen, LKW-Parkplätzen, Schienen, Wasserstraßen und vielem mehr "überragendes öffentliches Interesse" ein. Dann entfallen Umwelt- und Naturschutzvorgaben. Wo bisher zerstörte Naturflächen mit anderen realen Flächen kompensiert werden mussten, reicht jetzt eine Geldzahlung aus.
Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe spricht von einem "Angriff auf den Natur- und Umweltschutz". Die Bundesregierung schaffe das Grundprinzip, dass die Verursacher von Umweltschäden in die Pflicht genommen werden, de facto ab. Schneider verteidigt die Entscheidung im Frühstart: "Das Geld bekommt mein Ministerium. Das wird auch mehr sein als bisher und wir werden das dann gezielt nehmen, um woanders Flächen aufzukaufen und große Naturschutzgebiete auch aufzubauen."
Woher die neuen Flächen kommen sollen, ist unklar. Aber auch hier musste die SPD offenbar auf Druck des Kanzlers nachgeben. Friedrich Merz hatte beim CSU-Parteitag erzählt, er habe die SPD lange überzeugen müssen, dass alle Infrastrukturbauvorhaben mit "überragendem öffentlichen Interesse" eingestuft werden müssten. Er fügte hinzu, dass die Umweltpolitik die Wirtschaft zu lange ausgebremst habe - was letztlich auch demokratieschädigend sei. "Wer die Demokratie in Deutschland beschädigen, wenn nicht gar zerstören will, muss das genau so weitermachen", so Merz.
Dem widerspricht Schneider bei ntv: Die Stagnation in Deutschland habe andere, insbesondere geo-ökonomische Gründe. "Der Umweltschutz hat in Deutschland dazu geführt, dass wir saubere Luft und klare Flüsse und intakte Wälder haben. Und das muss auch so bleiben", so Schneider. Zwei so große Schutzgüter wie die Wirtschaft und die Umwelt dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Schneider kündigt an, er werde im ersten Quartal kommenden Jahres ein Klimaschutzprogramm vorstellen. Das werde auch Veränderungen im Leben der Menschen bedeuten. "Dass wir quasi klimafreundlicher und neutral werden bis 2045, ohne dass es irgendjemand merkt, das geht nicht."
