Lindner weist jede Schuld zurück Scholz verteidigt Elterngeld-Aus für obere Mittelschicht


Der Kanzler zu Besuch in einer Kita in seinem Potsdamer Wahlkreis. (Archivbild)
(Foto: picture alliance / photothek)
Neuester Zankapfel der Ampel: die geplante Streichung des Elterngeldes für Familien mit mehr als 150.000 Euro zu versteuerndem Einkommen. Bundeskanzler Scholz kann der Entscheidung Gutes abgewinnen. Finanzminister Lindner hält sich zumindest für unschuldig.
Nachdem sich Spitzenvertreter von FDP und Grünen öffentlich über die geplanten Streichungen beim Elterngeld gezofft haben, ist der Konflikt auch Thema der Befragung von Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag geworden. Er finde die "Frage, ob 300.000 eine berechtigte Einkommensgrenze ist, sehr berechtigt", sagte Scholz vor Abgeordneten aller Fraktionen. Schon in den vergangenen Jahren sei die Frage wiederholt aufgekommen, ob diese Obergrenze vernünftig sei.
"Wichtig ist, dass wir den Kerngedanken, den wir mit dem Elterngeld verbinden, nicht vergessen", sagte Scholz. Das Elterngeld soll, das sieht die Haushaltsplanung der Bundesregierung vor, künftig nur noch Eltern mit bis zu 150.000 Euro zu versteuerndem Einkommen zustehen. Die zuständige Familienministerin Lisa Paus war zuvor genauso wie weitere Kabinettsmitglieder von Bundesfinanzminister Christian Lindner zum Sparen aufgefordert worden. Seit Montag tobt ein Streit zwischen Paus' Grünen und Lindners FDP, wer verantwortlich sei für die Entscheidung, Paus Etat ausgerechnet beim Elterngeld zu kürzen. Vertreter beider Parteien kritisierten die Entscheidung.
Auch aus der Union kommt Kritik. Die Streichung treffe "vor allem die Mitte der Gesellschaft ins Mark, die Leistungsträgerinnen", klagte CSU-Politikerin Dorothee Bär während der Kanzlerbefragung. Sie klagte: "Warum wollen Sie besonders die Leistungsträger abstrafen?" Scholz bestritt derartige Absichten. Die Einführung des Elterngeldes sei "eine große sozialpolitische Innovation", sagte Deutschlands Regierungschef. Die Leistung wirke insbesondere darauf hin, "dass Care-Arbeit nicht ausschließlich eine Sache von Frauen ist". Die Bundesregierung habe sich vorgenommen, "dass sich das Elterngeld dynamisch weiterentwickeln wird", schloss Scholz etwaige Erhöhungen für die Zukunft nicht aus.
Lindner sieht Paus in Verantwortung
In der sich an Scholz' Befragung anschließenden Vorstellung des Bundeshaushaltsentwurfs für 2024 durch Lindner, bestritt dieser jedwede Verantwortung für die Streichung. "Wir sind nicht das Oberfachministerium", sagte Lindner. "Wir geben Anregungen, Vorgaben für die Ausgabenobergrenze." Wie die Ministerien Sparvorgaben umsetzten, liege bei den zuständigen Ministerinnen. Lindner verwies auf einen vergleichbaren Brief an die ebenfalls von Grünen geführten Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz sowie für Landwirtschaft. Beide Häusern seien Lindners Sparvorschlägen nicht gefolgt, hätten für die betroffenen Etats sogar noch mehr Geld herausgeholt und stattdessen anderweitig gespart.
Lindners Staatssekretär Werner Gatzer erklärte, sein Vorschlag sei dem Kostenanstieg für das Elterngeld in den vergangenen Jahren geschuldet. Neben dem Brief habe es immer auch einen persönlichen Austausch gegeben. "Da ist immer im Raum gewesen, wenn es Alternativen gibt, sind wir für alles offen", sagte Gatzer. "Ich hätte auch andere Ideen gehabt", sagte Lindner. Über diese wolle er aber nicht öffentlich spekulieren.
Auf dem Weg zum Haushaltsgesetz will Lindner nun noch einmal mit Paus und ihrem Ministerium sprechen. Paus habe selbst "adressiert, dass sie von ihrem eigenen Vorschlag nicht gleichstellungspolitisch überzeugt" sei, sagte Lindner. Er sei "bei Einkommenskappungen auch nicht so zufrieden", sagte der FDP-Vorsitzende mit Blick auf seine politischen Überzeugungen. "Dann werden wir jetzt dazu eine Alternative erarbeiten, zuerst natürlich sie [Lisa Paus; Anmerkung der Redaktion], aber wenn wir darum gebeten werden, helfen wir natürlich gerne."
Paus sieht Lindner in Verantwortung
Im Gespräch mit dem "Stern" stellte die Familienministerin selbst die Sachlage indes so dar: Sie habe bei der Reform des Elterngelds auf eine Vorgabe des Finanzministeriums reagiert. "Es gab die Vorgabe, die dynamische Entwicklung bei dieser Leistung zu drosseln." Um einen sozialpolitischen Schaden zu vermeiden, habe sie den monatlichen Auszahlungsbetrag nicht gesenkt, sondern den Kreis der Auszahlungsberechtigten verkleinert. "Wir haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eine Absenkung der Einkommensgrenze negative gleichstellungspolitische Folgen hat", sagte Paus. "Mütter mit kleinen Kindern werden in dieser Phase abhängig von der Unterstützung durch die Väter." Es sei zu befürchten, dass zumindest in der betroffenen Einkommensgruppe weniger Väter Elternzeit nehmen. "Das wäre ein Rückschritt. Und das ist nicht gut."
Bei den Grünen gibt es Überlegungen, die Elterngeld-Streichung im Zuge der Haushaltsverhandlungen im Bundestag wieder zurückzudrehen. Lindner selbst wollte die Folgen einer möglichen Streichung nicht bewerten: Er sei nicht zuständig für Familienpolitik, "deshalb will ich jetzt einzelne Maßnahmen nicht zensieren", sagte Lindner. Der Streit innerhalb der Regierungsfraktion in den vergangenen Tagen sei nicht ideal gewesen. "Es ist der Haushalt der Bundesregierung. Dass da jetzt heiße Kartoffeln hin und her geworfen werden, finde ich falsch und nicht nachvollziehbar", forderte Linder mehr Gemeinsinn in der Regierungskoalition ein.
Quelle: ntv.de