Parteienstreit um Hartz-Plan Schröder für rasche Reform
29.06.2002, 08:28 UhrBundeskanzler Gerhard Schröder will die Arbeitsmarkt-Reform möglichst noch vor der Bundestagswahl umsetzen und sich dabei an den Vorschlägen der Hartz-Kommission orientieren. Dagegen nannte die Union das Vorhaben der Kommission, die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2005 zu halbieren, "Wahlkampfklamauk".
Der Vorsitzende der Kommission, der VW-Manager Peter Hartz, warnte davor, seine Vorschläge zum Gegenstand des Wahlkampfes zu machen. "Unsere Arbeit ist strikt überparteilich und nur an Sachfragen orientiert", sagte er dem "Spiegel".
"Jetzt haben wir die große, vielleicht einmalige Chance, erstarrte Fronten aufzubrechen", erklärte Schröder am Samstag. Dies werde geschehen, ohne die soziale Balance in der Gesellschaft zu gefährden.
Nach "Focus"-Informationen rechnet die Kommission im Zuge der Reform mit möglichen Einsparungen von rund 27 Mrd. Euro. Bundesarbeitsminister Walter Riester stellte deshalb eine Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung in Aussicht. Er sagte: "Wenn die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sinken, werden wir die eingesparten Mittel an die Beitragszahler zurückgeben." Die Vorschläge der Kommission könnten zu einer drastischen Reduzierung der Arbeitslosigkeit führen.
Späth dementiert lautstarken Streit
Der CDU-Politiker Lothar Späth, der nach einem Wahlsieg der Union Wirtschaftsminister werden soll, dementierte einen Bericht der "Bild"-Zeitung über einen lautstarken Streit mit Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Unter Berufung auf Teilnehmer hatte die Zeitung berichtet, Stoiber habe Späth während einer Sitzung des Wahlkampfteams scharf zurechtgewiesen, weil dieser die Vorschläge der Hartz-Kommission zu sehr gelobt habe.
Späth sagte, ein solches Gespräch habe es nie gegeben. Seine Aussagen, die Pläne seien "mutig" und "revolutionär", seien zudem nicht als uneingeschränktes Lob zu verstehen. Es gebe gute und schlechte Ansätze in dem Papier des VW-Managers.
Die "Bild" zitierte einen Teilnehmer der Sitzung mit den Worten: "Es ging ziemlich heftig zu. Stoiber hat sich aufgeregt." Stoiber erhielt dem Bericht zufolge Unterstützung durch Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU), der ebenfalls deutliche Kritik an Späth äußerte. Späth habe versucht, seine Interview-Aussagen mit den Worten zu verteidigen, an den Vorschlägen der Hartz-Kommission sei doch "einiges dran".
Gewerkschaftskritik
Kritik kommt auch von den Gewerkschaften. Das Konzept sei darauf angelegt, "Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen nach unten auszuüben", sagte ver.di-Chef Frank Bsirske der "Frankfurter Rundschau". "Einer solchen Politik werden wir unseren Widerstand entgegensetzen."
Ablehnende Wissenschaftler-Worte
Nach Meinung des Bremer Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel werden Erwerbslose durch die Hartz-Pläne zu Opfern der Krise. Hickel sagte der Nachrichtenagentur dpa in Bremen, "Die Reformen stoßen die Tür zu Billiglohn-Jobs mit niedrigster Qualifikation auf und machen Langzeitarbeitslose zu Sozialhilfeempfängern."
Kritisch beurteilte Hickel vor allem die Reduzierung des Arbeitslosengeldes, das nach den Vorschlägen nur noch sechs Monate pauschal und sechs Monate auf Basis des Einkommens und danach als Sozialgeld auf Sozialhilfeniveau gezahlt werden soll.
Mittelstand mildert ab
Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit begrüßte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft hingegen die Ankündigung von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, Teile der Hartz-Reformideen noch vor der Bundestagswahl umzusetzen. "Einige Unionspolitiker sollten ihre ablehnende Haltung überdenken", erklärte Verbandspräsident Mario Ohoven. Die Vorschläge böten immerhin "die Chance auf einen Einstieg in die überfällige Reform des Arbeitsmarktes und damit zu einer wirkungsvollen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit".
Quelle: ntv.de