Freiflug-Affäre ferngesteuert? Schröder schwant Schlimmes
01.08.2002, 11:29 UhrBundeskanzler Gerhard Schröder sieht in der Freiflug-Affäre politische Absicht. Er sagte im ZDF, er neige nicht zu Verschwörungstheorien, aber die Art der Veröffentlichungen ließen eine gewisse Einseitigkeit erkennen. Ein „politisches Wollen“ dahinter sei offensichtlich.
Der ARD sagte Schröder, „dass es auch eine Verantwortung des Unternehmens Lufthansa gibt, nachdem offenbar aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmens die Informationen bewusst oder wie auch immer an jene bekannte Zeitung gelangt sind“. Das Unternehmen habe auch eine Verpflichtung, für Fairness zu sorgen.
Fliegerliste aufgetaucht
Der Bund der Steuerzahler verfügt nach eigenen Angaben über eine Liste von Abgeordneten, die ihre dienstlich erworbenen Bonus-Meilen privat verflogen haben. Der Vizepräsident des Steuerzahlerbundes, Dieter Lau, bestätigte dem ARD-Magazin „Kontraste“ am Donnerstag die Existenz einer solchen Liste. „Es sind Abgeordnete aller Parteien davon betroffen.“ Auf die Frage, ob die „Bild“-Zeitung mit derselben Liste arbeite, antwortete Lau: „Ich nehme an, dass das aus derselben Quelle kommt.“ Für die Liste zuständig sei ein Mitarbeiter gewesen, der den Steuerzahlerbund zum 31. Juli verlassen habe.
Nach „Kontraste“-Recherchen arbeitet der ehemalige Mitarbeiter des Steuerzahlerbundes mittlerweile für Jürgen Möllemanns FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag. Von Reportern des ARD-Magazins angesprochen, wollte er keinerlei Stellungnahme abgeben.
Thierse contra Lufthansa
Unterdessen tobt der Streit zwischen Bundestag und Lufthansa über die Offenlegung der Daten von Abgeordnetenflügen im Bonusmeilen-Programm heftig weiter. Zur Aufklärung der Affäre hatte Bundespräsident Wolfgang Thierse bei der Lufthansa eine Auflistung der Abgeordneten angefordert, die Bonusflüge wahrgenommen haben. Das Unternehmen hatte dies unter Verweis auf den Datenschutz jedoch abgelehnt.
Immerhin will die Lufthansa zur Aufklärung der Affäre beitragen. „Wenn Thierse uns Vollmachten jedes einzelnen Abgeordneten gibt, ihre Bonusmeilen bekannt zu geben, dann stellen wir die Daten zur Verfügung“, sagte ein Sprecher am Donnerstag in Frankfurt. Die von Thierse ultimativ bis zum Nachmittag geforderte Preisgabe einer Liste der Abgeordneten mit Bonusmeilen-Flügen lehnte das Unternehmen mit Hinweis auf datenschutzrechtliche Gründe allerdings weiter strikt ab.
Anwälte gegen Thierse
Nach Ansicht von Juristen und dem Bundesbeauftragten für Datenschutz ist das Ultimatum Thierses an die Lufthansa eine Aufforderung zum Rechtsbruch. Der Datenschutz-Experte des Deutschen Anwaltvereins, Jürgen Weinknecht, sagte, Thierse fordere die Fluglinie zum Verstoß gegen Grundsätze des Datenschutzrechts auf. Unternehmen dürften Daten ihrer Kunden nur mit deren ausdrücklicher Einwilligung an Dritte weitergeben.
Politiker kritteln an "Bild"
Unterdessen mehren sich die Vorwürfe gegen die „Bild“. Grünen-Parteichef Fritz Kuhn warf dem Boulevardblatt vor, sich mit der Veröffentlichung von Namen „zur Hilfstruppe im Stoiberschen Wahlkampf zu machen“. Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf sagte laut „Süddeutscher Zeitung“, „Bild“ führe eine parteipolitische Kampagne gegen Rot-Grün. PDS-Fraktionschef Roland Claus sagte im F.A.Z.-Radio, wenn eine Zeitung entscheide, was veröffentlichte werde und wann, dann sei dies auch ein Zustand der „politischen Unkultur“.
Neue Enthüllungen
Die Liste der Abgeordneten, die im Verdacht stehen, Privatflüge über ihr dienstliches Lufthansa-Bonuskonto abgewickelt zu haben, wurde unterdessen wieder um drei Namen länger. Nach Recherchen der "Bild"-Zeitung sind auch die CSU-Politikerin Renate Blank, ihr SPD-Kollege Klaus Lennartz und die PDS-Parlamentarierin Ulla Jelpke in die Freiflug-Affäre verstrickt. Alle drei Politiker wiesen die Vorwürfe strikt zurück.
Auslöser der Affäre
Ins Rollen geraten war die Freiflug-Affäre mit dem Grünen-Abgeordneten Cem Özdemir. Nachdem bekannt geworden war, dass er dienstlich erworbene Bonusmeilen privat genutzt hatte, kündigte Özdemir seinen Rückzug aus der Politik an. Auch Berlins Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) trat im Kontext der Affäre zurück. Beschuldigt, von dem Bonus-Programm der Lufthansa privat profitiert zu haben, wurden zudem der CDU-Abgeordnete Günter Nooke, Bundesumweltminister Jürgen Trittin und der Staatssekretär Ludger Volmer (beide Grüne).
Quelle: ntv.de