Politik

Wahlkampfschlager Türkei Schulz' letzte Chance?

Schulz bei einem seiner letzten Aufeinandertreffen mit Erdogan als EU-Parlamentspräsident.

Schulz bei einem seiner letzten Aufeinandertreffen mit Erdogan als EU-Parlamentspräsident.

(Foto: picture alliance / dpa)

Sigmar Gabriel verschärft den Ton Richtung Türkei. Die SPD erhofft sich einen Kick für den erfolglosen Wahlkampf von Kanzlerkandidat Martin Schulz. Der spielt jedoch nur eine Nebenrolle, im Mittelpunkt steht ein anderer.

Im Wahlkampf fehlte es der SPD zuletzt an zugkräftigen Inhalten. Ob ihr Steuerkonzept, die Einführung einer Bürgerversicherung oder der Widerstand gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato - nichts entfaltet bisher die große Mobilisierungskraft. Aber neun Wochen vor der Wahl kann die SPD vielleicht wieder hoffen. Der Streit mit der Türkei bietet möglicherweise die so dringend benötigte Gelegenheit, sich gegen Kanzlerin Merkel Angel zu profilieren und den Rückstand auf die Union zu verkürzen. Nur: Kann SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz daraus Kapital schlagen?

Eindeutig lässt sich das noch nicht absehen. Die nötige Wucht hat das Thema jedenfalls. Der Böhmermann-Streit, das umstrittene Referendum, die Debatte um Wahlkampfveranstaltungen auf deutschem Boden und die wüsten Beschimpfungen aus Ankara haben das deutsch-türkische Verhältnis negativ aufgeladen. In der Vergangenheit hat die Kanzlerin die wichtigsten Fragen der Außenpolitik stark an sich gerissen und dem Koalitionspartner nur die unbedeutenden Reste liegen lassen. Aber diesmal war die SPD schneller. Die neue Tonart Richtung Türkei ist kein Alleingang, sondern mit Merkel abgesprochen. Gabriel verwies am Donnerstag auf die gemeinsame Linie der Bundesregierung.

Dennoch wollen die Sozialdemokraten es neun Wochen vor der Wahl natürlich so aussehen lassen, als sei die neue Türkei-Politik vor allem auf Druck der SPD zustande gekommen. Die Botschaft: Endlich greift mal einer durch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Gabriel und die SPD-Spitze haben die schärfere Gangart im Umgang mit der Türkei in den vergangenen Wochen schrittweise vorangetrieben. Schulz griff Erdogan mehrfach, unter anderem beim Parteitag in Dortmund, scharf an. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann drängte vor einigen Tagen: "Die Bundeskanzlerin muss jetzt endlich Konsequenzen aus dem Verhalten von Erdogan ziehen." Merkel habe keine Strategie im Umgang mit Erdogan, kritisierte er. Die Kanzlerin steht schon seit längerem in der Kritik, im Umgang mit der Türkei zu weich und nachlässig zu sein. Ihr blieb nun fast keine andere Wahl, als mitzuziehen. Dass die Kanzlerin jederzeit dazu bereit ist, strategische Lücken wie zuletzt bei der Ehe für alle zu schließen, ist nicht neu.

Demonstrative Umarmung

Die neue Türkei-Politik ist jedoch durchaus gewagt, nicht nur für die Bundesregierung. Die SPD vollzieht eine Kurswende, nachdem sie sich jahrelang für eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ausgesprochen hat. Das ist auch aus wahltaktischen Gründen riskant. Die eine Million wahlberechtigten Deutschtürken sind eine wichtige Wählergruppe. Laut einer Umfrage der Endax-Initiative des Instituts futureorg gaben vor der Bundestagswahl vor vier Jahren 42,9 Prozent der Deutschen mit türkischen Wurzeln an, die SPD wählen zu wollen. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Data4U stimmten bei der Wahl sogar 64 Prozent für die SPD. Die muss nun befürchten, dass sich viele Erdogan-treue Deutschtürken abwenden.

Ob das Thema Türkei Kanzlerkandidat Schulz wirklich helfen kann, ist jedoch fraglich. Schulz meldete sich am Donnerstag rasch zu Wort, um den Eindruck zu bestärken, dass er wesentlich involviert war. Auch Gabriel verwies in der Pressekonferenz auf die Absprache mit dem SPD-Chef. Für alle Journalisten und Kameraleute gut sichtbar, hatten Schulz und Gabriel zuvor dessen Büro verlassen und sich zum Abschied demonstrativ umarmt. Dennoch blieb für den wichtigsten Sozialdemokraten im Wahlkampf unterm Strich nicht viel mehr als eine Nebenrolle. Die große Bühne und die ganze Aufmerksamkeit genoss Gabriel. Er profiliert sich als einer, der im Notfall nicht nur bereit ist, seinen Urlaub auf Sylt abzubrechen, sondern auch durchzugreifen, wenn es nicht anders geht. Er war und ist Hauptdarsteller in der nachrichtenarmen Zeit.

Stiehlt Gabriel Schulz die Show?

Im Januar hatte Gabriel den SPD-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur an Schulz übergeben. Nach der anfänglichen Euphorie liegt die SPD in Umfragen inzwischen unter dem schlechten Wahlergebnis von 2013. Weder die Vorstellung des Programms, noch der Parteitag in Dortmund oder der gefühlte Punktsieg bei der Ehe für alle verhalfen Schulz zuletzt zu einem Aufschwung. Und Gabriel? Der blüht als Außenminister auf und ist plötzlich einer der beliebtesten Politiker des Landes. Späte Genugtuung für den Niedersachsen, der jetzt zeigen kann, dass er möglicherweise sehr wohl ein guter Kanzlerkandidat gewesen wäre.

Vor vier Jahren hatte Gabriel dem damaligen SPD-Kandidaten Peer Steinbrück immer wieder dazwischengefunkt. Fraktionschef Oppermann erklärte im Januar, dieser werde im Wahlkampf eine dienende Rolle spielen. Verzichten kann die Partei auf den beschlagenen Wahlkämpfer Gabriel kaum. Nun wird man den Eindruck nicht los, dass der Außenminister dem Kanzlerkandidaten etwas die Show stiehlt. Bei einer Pressekonferenz zur Ehe für alle Ende Juni mit Schulz und den SPD-Ministern ergriff Gabriel auffallend oft das Wort. Nach den G20-Krawallen war er es, der die Kanzlerin frontal angriff. Während die Kanzlerin und der Außenminister die außenpolitische Bühne für sich nutzen können, tingelt Schulz viel durch die Provinz. Am Dienstag besuchte er ein Unternehmen im 4700-Seelen-Ort Niederstotzingen.

Ob Schulz im Januar vielleicht besser auch noch Außenminister geworden wäre? Der Kanzlerkandidat hatte sich damals bewusst dagegen entschieden. Um mehr Beinfreiheit zu haben und Kanzlerin Merkel besser angreifen zu können. Als allzu offensichtlich wahlkämpfender Außenminister hätte er schnell unter dem Vorwurf der Profilierungssucht gestanden. Dennoch dürfte sich so mancher in der SPD fragen, ob das richtig war. Ausgerechnet dann, wenn es drauf ankommt, steht Schulz, der selbst gern Fußballmetaphern wählt, allzu oft nur am Spielfeldrand - und im Schatten des Außenministers.

Quelle: ntv.de

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