Politik

Was hat die SPD falsch gemacht? "Schulz war nicht präsent"

Nach den erklärenden Worten zum Wahldesaster: Schulz verlässt den Saal.

Nach den erklärenden Worten zum Wahldesaster: Schulz verlässt den Saal.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Ausgerechnet in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen erleidet die SPD eine krachende Niederlage. Welche Fehler hat sie gemacht, und was bedeutet das NRW-Ergebnis für die Bundestagswahl? Der Politologe Gero Neugebauer glaubt im Gespräch mit n-tv.de nicht, dass das Rennen schon gelaufen ist.

n-tv.de: Vor wenigen Wochen lag die SPD in NRW noch weit vor der CDU. Jetzt hat sie die Landtagswahl ausgerechnet in ihrem Stammland verloren. Was ist schiefgelaufen?

Gero Neugebauer: Die SPD hat lange übersehen, dass sich die Wirklichkeit in NRW anders entwickelt hat, als sie es versucht hat, den Wählern darzustellen. Insbesondere gilt das für die wichtigen Politikfelder Bildungs- und Sicherheitspolitik. Die Bevölkerung erwartete von der Regierung, dass es gerecht und sicher im Land zugeht – und dieses Interesse hat die SPD nicht erfüllt.

Und da gab es auch keinen Schulz-Effekt mehr?

Der Schulz–Effekt ist für NRW nicht maßgeblich gewesen. Er bestand ja vor allem darin, dass die SPD wachgeküsst wurde, dass es eine Menge Eintritte gab und die Partei auf einmal eine Perspektive bekommen hat, möglicherweise die Alternative zur CDU bei der Bundestagswahl zu sein.

Was hat Schulz falsch gemacht?

Gero Neugebauer ist Politologe in Berlin.

Gero Neugebauer ist Politologe in Berlin.

(Foto: picture alliance / dpa)

Schulz war nicht präsent und es war nicht klar: Welche Inhalte hat er? Was ist sein Begriff von sozialer Gerechtigkeit? Schulz' Hinweise auf Reparaturen an der Agenda 2010 haben wiederum Erinnerungen an die Agenda-Politik hervorgerufen, die für die SPD ja zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit geführt hat. Insofern war die Verunsicherung über die angekündigten Inhalte groß.

War es ein Fehler, dass Schulz nicht in die Regierung gegangen ist?

Nein. Wäre er in der Regierung gewesen, hätte er für die Große Koalition werben müssen. Jetzt wird er seine Strategie erklären müssen, und diese Strategie kann nur heißen: Ich mache keinen Lagerwahlkampf für Rot-Rot-Grün, sondern einen Wahlkampf, der auf die SPD ausgerichtet ist, wenn auch mit einer rot-grünen Präferenz. Aber das ist schwer, weil Schulz das nicht nur dem Wähler, sondern auch der eigenen Partei klarmachen muss. Und er muss zugleich verdeutlichen, dass die SPD nicht alle anderen Optionen künftig ausschließen will. Das ist ein Drahtseilakt, der eine gewisse Professionalität erfordert. Bei Schulz ist sie vielleicht vorhanden, bei seinem Stab bin ich mir nicht sicher.

Schulz hat angekündigt, dass die SPD nun in sich geht. Was muss sie ändern, wenn sie im September noch eine Chance haben will?

Schulz muss deutlich machen, dass sich die Partei anders in den Wahlkampf einschaltet. Dass sie stärker auf Emotionen setzt und diese Emotionen auch mit den Erwartungen der SPD-Wähler verknüpft. Er wird auch deutlich erklären müssen, was die SPD besser machen will - aber nicht anders. Denn in unseren Zeiten, in denen es Deutschland einerseits gut geht, aber andererseits die Rahmenbedingungen nicht absehbar sind und Krisen möglich werden, muss er Verlässlichkeit ausstrahlen. Er muss zeigen, dass er nicht eine Politik machen will, die zu Risiken führt. Da ist er in den Augen der Wähler noch nicht so weit, dass er Merkel das Wasser reichen kann.

Ist das Rennen um die Bundestagswahl jetzt überhaupt noch offen?

Die Bundestagswahl ist noch nicht gelaufen. Auch nach den Wahlen in NRW und Schleswig-Holstein lässt sich deren Ergebnis nicht voraussagen. Wir wissen nicht, inwieweit noch eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet, wie stark die Mobilisierung wird. In den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass sich viele Wähler angesichts der nachlassenden Parteienbindung immer später dazu entschließen, eine Wahlentscheidung zu treffen. Möglicherweise gelingt es im Wahlkampf ja zu zeigen, dass es eine inhaltliche Auseinandersetzung gibt. Das bedeutet für die SPD eine große Anstrengung und für die Union, dass sie nicht unbedingt im Schlafwagen zu einem Wahlsieg gelangt. Die SPD wird mit Sicherheit nicht zulassen, dass wie 2013 ein Wahlkampf ohne Höhepunkte stattfindet. Allerdings ist die Gefahr nicht auszuschließen, dass die Mehrheit sagt: "Das Bekannte ist uns lieber als das unbekannte Interessante" - und dann doch Merkel wählt.

Hat es sich gelohnt, dass die Union zuletzt einen härteren Kurs fuhr, etwa beim Thema Doppelpass oder der Debatte um die deutsche Leitkultur?

Das ist nicht das Thema bei der Wahl gewesen, und Armin Laschet ist hier nicht glaubwürdig genug. Als Integrationsminister der alten CDU/FDP-Regierung hatte er eher einen Kurs gefahren, der auf Integration und nicht auf Abgrenzung und Deportation gesetzt hat. Es ist auch klar: Es ist die Schwäche der SPD gewesen, die den Erfolg der CDU in NRW ermöglicht hat. Für die CDU sind die Bäume hier nicht in den Himmel gewachsen, an ihr Ergebnis von 2010 ist sie nicht wieder herangekommen.

Gab es denn einen Merkel-Effekt bei der Wahl?

Sichtbar nicht, im Wahlkampf ging es um landespolitische Themen. Aber indirekt schon, denn in den Köpfen vieler CDU-Wähler spielt Merkel doch eine Rolle. Sie sagen: "Wenn wir CDU wählen, dann stärken wir auch Merkel."

Die FDP kam auf 12,6 Prozent. Ist ihr das Comeback nun endgültig gelungen?

(Lacht) Ihr Erfolg ist auch ein Indiz für die Schwäche der SPD und der Grünen. Die FDP wurde das Objekt der Begierde von vielen SPD- und Grünen-Wählern, die dachten: "Es schadet ja nichts, den Lindner zu wählen, der geht sowieso nach Berlin." Zwar mögen die Themen Bildungspolitik und Digitalisierung einen Beitrag geleistet  haben, aber die inhaltliche Frage ist für die FDP immer noch zweitrangig. Sie wird im Wesentlichen durch Personen und deren Attraktivität bestimmt. Insofern kann das Wahlergebnis auch ein Strohfeuer sein und nicht unbedingt ein Signal, dass die FDP in wirklich guter Stärke in den Bundestag einziehen wird.

Trotz aller Querelen in den vergangenen Wochen hat die AfD aus dem Stand heraus 7,4 Prozent bekommen und ist in ihren 13. Landtag eingezogen. Was heißt das? 

Es bedeutet, dass es in der Bundesrepublik ausreichend Protestwähler gibt. Ohne Rücksicht auf inhaltliche und personelle Streitigkeiten wollen diese eine Partei, die den anderen Parteien sagt, wo es langgeht und wo die Fehler liegen. Und da haben wir in Deutschland ein Potenzial, das immer ausreicht, die AfD in den Bundestag zu hieven. Ob sie ein zweistelliges Ergebnis bekommt, hängt davon ab, inwiefern Themen wie Flüchtlinge und Europakrise im September relevant sind.

Mit Gero Neugebauer sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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