Debatte um Aufschwung Ost Schwanitz widerspricht Thierse
08.02.2001, 08:45 UhrDie Bundesregierung hat den kritischen Äußerungen von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) zum Verlauf des Aufholprozesses in Ostdeutschland widersprochen. Das Bild, die Ostländer stünden “auf der Kippe” oder vor dem “Absturz” entspreche nicht der Realität, sagte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Rolf Schwanitz (SPD), im Bundestag unter Anspielung auf Äußerungen Thierses. Ostdeutschland stehe nicht am Ende eines Weges, sondern in der Mitte.
In der von der CDU/CSU beantragten Aktuellen Stunde hatte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Günter Nooke die Bundesregierung zuvor aufgefordert, zu Thierses Worten Stellung zu nehmen. Die Union biete “konstruktive Mitarbeit” an, sagte Nooke. “Bevor der Osten kippt, müssen wir dafür sorgen, dass die Stimmung nicht kippt.”
Sprecher von SPD und Bündnis 90/Grüne meinten, dass die Lage nicht einfach sei, und nannten den Aufbau Ost eine Generationenaufgabe. Wenn die Wirtschaft nicht mehr zweistellig wachse, stagniere der Aufholprozess. Doch damit stünden die ostdeutschen Länder nicht vor dem Absturz.
Thierses Thesen
Thierse hatte zuvor erneut auf die ökonomischen und sozialen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland hingewiesen.
Die genannten ökonomischen Daten habe keiner widerlegt, sagte er der "Sächsischen Zeitung". Thierse hatte Anfang Januar die Meinung geäußert, die wirtschaftliche und soziale Lage in den neuen Ländern stehe auf der Kippe. Damit war er teils auf heftige Kritik auch in der eigenen Partei gestoßen.
Viele Bürger hätten ihm jedoch zugestimmt, sagte Thierse. Noch nie in seiner politischen Laufbahn habe er so viel Post bekommen. Es habe offensichtlich etwas "Befreiendes an sich, dass ein führender Politiker, zumal einer Regierungspartei, die Probleme ausspricht, die viele Ostdeutsche als ihre Probleme ansehen."
Er habe eine Diskussion in der SPD gewollt und freue sich, dass sie in Gang gekommen sei. Sein eigentlicher Punkt, so Thierse, sei die Differenz zwischen West und Ost, die nicht kleiner, sondern größer werde. Ostdeutsche Interessenpolitik dürfe sich nicht auf das Aushandeln von dieser oder jener Zugabe beschränken. Die Ostdeutschen sollten vehement darauf bestehen, "dass sie noch eine ganze Reihe von Jahren Nutznießer eines Solidarpaktes II und des Länderfinanzausgleichs sein müssen, so wie Bayern 35 Jahre lang Nutznießer des Länderfinanzausgleiches war", empfahl Thierse.
Quelle: ntv.de